Rz. 173
Die Ausschlusswirkung tritt nach dem Gesetzeswortlaut ein, sobald die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung erfolgt ist. Die Wahl des Bekanntgabezeitpunktes statt z. B. der Absendung der Prüfungsanordnung oder der – auch mündlichen – Ankündigung der Prüfung erhält dem Stpfl. einen nicht unerheblichen Spielraum für das strategische Vorgehen im Hinblick auf die Abgabe einer Selbstanzeige, da sie im Zeitraum zwischen der in der Praxis häufigen telefonischen Ankündigung der Außenprüfung und dem Zugang der Prüfungsanordnung noch möglich ist. Bei dieser telefonischen Abstimmung handelt es sich mangels Schriftform unstrittig nicht um eine Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung i. S. d. § 196 AO, so dass auch § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO nicht eingreift.
In der Praxis besteht teilweise auch die Möglichkeit, Zeit für das Erstellen einer Selbstanzeige zu gewinnen, indem mit dem Betriebsprüfer im Rahmen der Vorab-Abstimmung des Prüfungstermins vereinbart wird, dass er die Prüfungsanordnung nicht zusendet, sondern bei Prüfungsbeginn mitbringt und aushändigt. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, den Zugang der Prüfungsanordnung schlicht zu leugnen (vgl. Rz. 175). Diese sich aus der Gesetzesfassung ergebenden Möglichkeiten werden teilweise in der Literatur begrüßt.
Rz. 174
Für die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gilt § 122 Abs. 1 AO. Folglich liegt eine ordnungsgemäße Bekanntgabe vor, wenn die Prüfungsanordnung mit dem Willen der Behörde dem richtigen Adressaten – dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i. S. d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter – in der richtigen Form zugeht. Ihr Zugang muss somit im Hinblick auf das "Ob" und das "Wie" durch den Willen der Behörde gesteuert werden. Die Prüfungsanordnung darf die Behörde nicht gegen deren Willen verlassen und muss den Adressaten auf dem vorgesehenen Wege erreichen. Zugegangen ist sie, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme unter normalen Umständen möglich war oder von ihm nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs erwartet werden konnte. Die tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht maßgeblich.
Rz. 175
Bestreitet der Empfänger jedoch den Zugang der Prüfungsanordnung, so müssen die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung den Zugang der Prüfungsanordnung nachweisen, da die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 AO zuungunsten des Stpfl. im Strafrecht keine Anwendung finden kann. Dieser Nachweis wird in der Praxis jedoch kaum möglich sein, da Prüfungsanordnungen i. d. R. schon unter Kostengesichtspunkten mit einfachem Brief verschickt werden. Bestreitet der Stpfl. erfolgreich den Zugang der Prüfungsanordnung, so ist eine abgegebene Selbstanzeige somit trotz vorheriger Absendung der Prüfungsanordnung wirksam.
Rz. 176
Wird der Zugang einer Prüfungsanordnung nicht bestritten, so ist fraglich, in welchem Zeitpunkt sie zugegangen ist. Teilweise wird davon ausgegangen, dass zugunsten des Stpfl. die für das Besteuerungsverfahren geltende Dreitagesfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auch in diesem Rahmen anwendbar sei. Folglich hätte der Stpfl. i. d. R. zwischen der tatsächlichen Kenntniserlangung von der Prüfungsanordnung und dem Zugang gem. der Dreitagesfiktion ein Zeitfenster von ein bis zwei Tagen, in denen er eine wirksame Selbstanzeige abgeben könnte. Behauptet der Stpfl. hingegen einen späteren Zugang, so unterliegt dies der freien Beweiswürdigung des Strafgerichts. Folglich wird er sich i. d. R. damit durchsetzen, wenn die ernstliche Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes besteht und der konkrete Zeitpunkt des Zugangs nicht durch eine förmliche Zustellung nachgewiesen werden kann.
Rz. 177
Vor dem Hintergrund des Zeitfensters zwischen der tatsächlichen Kenntniserlangung von der Prüfungsanordnung und dem Zugang gem. der Dreitagesfiktion wird teilweise die Anwendbarkeit der Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO verneint. Stattdessen soll ausgehend vom Willen des Gesetzgebers ausschließlich der tatsächliche Zugang maßgeblich sein, bei dessen Feststellung der strafrechtliche Zweifelssatz anwendbar sein soll.
Es ist allerdings festzustellen, dass beide Meinungen die durch das Abstellen auf die Bekanntgabe entstehenden Probleme gleichermaßen unbefriedigend lösen. Einer Entscheidung bedarf es insoweit nicht, da sie in der Praxis i. d. R. zu identischen Ergebnissen kommen werden, denn der konkrete Zugang wird in aller Regel nicht nachweisbar sein.
Rz. 178
Die Ausschlusswirkung tritt nach dem Gesetzeswortlaut nur ein, wenn die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gegenüber dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i. S. d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter erfolgt ist. Durch die weite Fassung dieses Personenkreises sollen die mit der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO, die nur auf den Täter und seinen Vertreter abstellte, verbundenen Probleme beseitigt werden. Folglich sind nun neben dem Tät...