Rz. 92

Nach § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO tritt die Straffreiheit nach einer "Selbstanzeige" auch dann nicht ein, wenn vor der Abgabe der "Selbstanzeigeerklärung" (Rz. 34–36) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur Ermittlung einer Steuerstraftat i. S. v. § 369 Abs. 1 AO oder einer Steuerordnungswidrigkeit i. S. v. § 377 Abs. 1 AO erschienen ist.

 

Rz. 93

Amtsträger der Finanzbehörde (Rz. 68, 69), die mit strafrechtlichen oder bußgeldrechtlichen Ermittlungen betraut sind, sind i. d. R. Amtsträger der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO, der Zollfahndungsämter sowie der gem. § 404 AO mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen[1]. Durch die besondere Erwähnung dieser Ermittlungstätigkeit in § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO erübrigt sich insoweit die exakte Bestimmung des Rechtscharakters der Fahndungstätigkeit nach § 208 Abs. 1 AO, die nach der derzeit h. M. sowohl steuerlichen als auch strafrechtlichen Charakter haben kann[2].

Die Eigenschaft des finanzbehördlichen Amtsträgers wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren führt[3]. Dass der Amtsträger nach § 404 S. 2 AO auch Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ist, ist insoweit unerheblich[4].

 

Rz. 94

Das Erscheinen des Amtsträgers (Rz. 70–83) schließt die "Selbstanzeige" aus. Hierbei ist für den Ausschlussgrund völlig unerheblich, ob dieses Erscheinen in Gegenwart eines Staatsanwalts geschieht oder nicht[5].

Die Ausschlusswirkung tritt nur für den Beschuldigten ein, bei dem der Amtsträger erschienen ist. Alle anderen Tatbeteiligten können noch "Selbstanzeige" einlegen[6].

 

Rz. 95

Der Umfang der Ausschlusswirkung richtet sich auch insoweit nach dem Inhalt des Ermittlungsauftrags (Rz. 87). Da die Durchführung straf- oder bußgeldrechtlicher Ermittlungen, also auch das "Erscheinen" bei dem Beschuldigten (Rz. 70–83), die Einleitung eines Steuerstraf- bzw. -bußgeldverfahrens nach §§ 397 Abs. 1, 410 Abs. 1 Nr. 6 AO voraussetzt (Vor §§ 385–408 AO Rz. 8b; Rz. 92), entspricht der Umfang der Ausschlusswirkung zunächst dem des Ausschlussgrunds nach § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO[7]. Dieser Ausschlussgrund hat insoweit nur eingeschränkte praktische und rechtliche Bedeutung[8]. Nach § 397 Abs. 3 AO ist diese Einleitung dem Beschuldigten aber zwingend mitzuteilen, wenn er zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden soll. Diese Pflicht besteht z. B. auch, wenn sich die Mitwirkung in der Duldung von Ermittlungsmaßnahmen, z. B. einer Durchsuchung[9], erschöpft. Hier ist ihm oder seinem "Vertreter" (Rz. 100) die Durchsuchungsanordnung[10] bekannt zu geben, aus der sich der Tatverdacht ergibt[11]. Wenn die Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Durchsuchung, in Abwesenheit des Beschuldigten oder seines "Vertreters" erfolgt und keine Bekanntgabe von der Verfahrenseinleitung erfolgen kann, hat die Vorschrift aber eigenständige Bedeutung[12].

 

Rz. 95a

Darüber hinaus geht der BGH im Interesse der inhaltlichen Erweiterung der Ausschlussgründe (Rz. 64a; 3a) von einer eigenständigen Bedeutung des Ausschlussgrundes insofern aus, als sich die Sperrwirkung auch auf einen von einer späteren "Selbstanzeige" erfassten Sachverhalt erstrecken soll, wenn dieser Sachverhalt zwar bei Beginn der Ermittlungen von dem Ermittlungswillen des Amtsträgers noch nicht erfasst war, aber mit dem Ermittlungsgegenstand, auf den sich die Einleitung (Rz. 95, 102) erstreckt, in einem engen sachlichen Zusammenhang steht[13]. Umgekehrt tritt die Sperrwirkung für einen von einer späteren "Selbstanzeige" erfassten Sachverhalt jedenfalls dann nicht ein, wenn dieser Sachverhalt weder von dem Ermittlungswillen des Amtsträgers erfasst ist, noch ein enger Zusammenhang besteht[14].

 

Rz. 95b

Die Sperrwirkung erstreckt sich nach BGH[15] auf solche Sachverhalte, bei denen unter Berücksichtigung des bisherigen Ermittlungsziels und den steuerlichen Gegebenheiten des Beschuldigten andererseits bei dem üblichen Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in die Ermittlungen einbezogen würden[16]. Dies ist stets dann der Fall, wenn sich der weitere Tatvorwurf lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerart bei identischen Einkunftsquellen erstreckt[17].

Wenn allerdings auszuschließen ist, dass durch die laufenden Ermittlungen weitere sonstige Steuerquellen erkannt werden können, greift der Ausschlussgrund nicht ein[18].

 

Rz. 95c

Nach Beendigung der Ermittlungen ist eine "Selbstanzeige" wieder zulässig[19].

[1] Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 36.
[2] § 208 AO Rz. 14, 25; für § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO s. Rz. 67.
[3] Erl. zu §§ 386, 402 AO; vgl. LG Stuttgart v. 21.8.1989, 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72.
[4] LG Stuttgart v. 21.8.1989, 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72; Lüttger, StB 1993, 375; Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 30; a. A. Teske, wistra 1990, 141; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 143.
[5] A. A. Felix, BB 1985, 1781, der insoweit übersieht, dass die Steuer- bzw. Zollfahnder nach § 404 AO stets nur Ermittlungsper...

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