2.4.2.1 Anhängigkeit des Steuerstrafverfahrens
Rz. 312
Die Nachentrichtungspflicht (vgl. Rz. 309) hat strafrechtlichen Charakter. Ohne dass es im Gesetz ausdrücklich erwähnt werden musste, setzt die Begründung der Nachentrichtungspflicht zwingend voraus, dass wegen dieser Tat überhaupt ein Strafverfahren anhängig ist (Rz. 19). Die Wertung der Erklärung als Selbstanzeige strafrechtlichen Verhaltens hat regelmäßig die Einleitung des Steuerstrafverfahrens zur Folge (Rz. 18, 21).
Rz. 313
Die Selbstanzeige bewirkt allerdings nicht, dass die Staatsanwaltschaft oder die Finanzbehörde auch dann zur Einleitung gezwungen ist, wenn von vornherein ein Einstellungsgrund zu erkennen ist. In gleicher Weise muss die Verfahrenseinstellung nach Einleitung erfolgen, wenn sich ein zwingendes strafprozessuales Verfahrenshindernis, z. B. die Strafverfolgungsverjährung, ergibt. Eine Entscheidung über die Strafbarkeit ist im Steuerstrafverfahren dann nicht mehr zulässig, sodass auch die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO entfällt. Die steuerlichen Zahlungspflichten werden hierdurch nicht berührt.
2.4.2.2 Tatbeteiligung
Rz. 314
Nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO besteht die Nachentrichtungspflicht "für den an der Tat Beteiligten". Diese Formulierung hat insofern klarstellende Bedeutung, als die Form der Tatbeteiligung für die Begründung der Nachentrichtungspflicht unerheblich ist. Die Nachentrichtungspflicht besteht folglich dem Grunde nach für den Täter unabhängig von der Form der Täterschaft (Allein-, Mit- oder mittelbare Täterschaft) sowie für den Teilnehmer (Gehilfen und Anstifter) der Steuerhinterziehung.
Die Nachentrichtungspflicht besteht nicht für einen Tatunbeteiligten, dessen Anzeige auch nicht als Selbstanzeige qualifiziert werden kann.
2.4.2.3 Vollendete Steuerhinterziehung
Rz. 315
Nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO setzt die Nachentrichtungspflicht ferner voraus, dass bei der jeweiligen Tat eine Steuerverkürzung bereits eingetreten ist oder ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil bereits erlangt wurde. Die Steuerhinterziehung muss also vollendet sein.
In Ermangelung eines bereits eingetretenen Schadens bewirkt nämlich bei dem Versuch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 2 AO allein die Vornahme der Berichtigungshandlung in Form der Selbstanzeigeerklärung die Straffreiheit.
2.4.2.4 Hinterziehung zu seinen Gunsten
Rz. 316
Durch § 371 Abs. 3 S. 1 AO wird eine Nachentrichtungspflicht nur für den die Selbstanzeige erstattenden Tatbeteiligten einer vollendeten Steuerhinterziehung hinsichtlich der zu seinen Gunsten aus der Tat hinterzogenen Steuern und der in Abs. 3 S. 1 aufgeführten Zinsen begründet.
2.4.2.4.1 Selbstanzeigender als Steuerschuldner
Rz. 317
Zweifelsfrei ist derjenige Tatbeteiligte nachentrichtungspflichtig, der zu eigenem unmittelbarem steuerlichen Vorteil hinterzogen hat, durch die Tat also seine eigene Steuerschuld gemindert hat. Hier ist der Tatbeteiligte selbst Steuerrechtssubjekt in dem durch die Tat betroffenen Steuerpflichtverhältnis.
2.4.2.4.2 Dritter als Steuerschuldner
Rz. 318
Zweifelhaft ist dagegen die Nachentrichtungspflicht, wenn sich die jeweilige Steuerhinterziehung in einem Steuerpflichtverhältnis auswirkt, an dem der Tatbeteiligte nicht Beteiligter i. S. v. § 78 AO ist, er also auch nicht Steuerschuldner des hinterzogenen Betrags ist, sondern nur als Haftungsschuldner nach §§ 70, 71 AO in Betracht kommt. Ausgehend vom Wortlaut des § 371 Abs. 3 S. 1 AO und der Systematik des § 370 AO wird einmal die – für den Tatbeteiligten und aus Sicht der Verteidigung sehr günstige, aber unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht in jedem Fall befriedigende – Ansicht vertreten, dass ausschließlich ein unmittelbarer steuerlicher Vorteil aus der Tat die Nachentrichtungspflicht begründen kann.
Der Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer einer Einmann-GmbH hinterzieht zugunsten der GmbH betriebliche Steuern. Nach ausschließlich steuerlicher Betrachtungsweise hat er selbst mangels formaler Steuerschuld keinen Steuervorteil erlangt und ist demgemäß insoweit allein durch die Selbstanzeigehandlung nach § 371 Abs. 1 AO straffrei.
Rz. 319
Demgegenüber geht die h. M. von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus. Nachentrichtungspflichtig ist danach derjenige, der aus der Tat einen ...