2.4.3.3.1 Abhängigkeit der Nachentrichtungspflicht vom Bestehen des steuerlichen Anspruchs
Rz. 139
Der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO knüpft die Begründung der Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) nur an den Eintritt des Taterfolgs. Strafrechtlich ist dies insofern konsequent, als der nachträgliche Wegfall des Taterfolgs den Strafanspruch nicht berührt. Die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO ist aber keine zusätzliche strafrechtliche Sanktion. Die Straffreiheit wird in Aussicht gestellt, um den Anreiz zu geben, eine bisher nicht bekannte Steuerquelle zu erschließen (Rz. 3). § 371 AO bezweckt den Schadensausgleich, aber nicht eine finanzielle Mehrbelastung des Tatbeteiligten.
Rz. 140
Die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) nach § 371 Abs. 3 AO ist demgemäß – als ungeschriebenes gesetzliches Tatbestandsmerkmal – abhängig vom Bestehen des steuerlichen Anspruchs. Entscheidend ist hierbei der materielle Bestand des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Sie ist jedoch nicht abhängig – in Abweichung zur Formulierung des § 395 Abs. 3 RAO – von dessen Festsetzung im Besteuerungsverfahren durch Steuer- oder Haftungsbescheid und damit dessen steuerlicher Fälligkeit. Bei freiwilliger vorzeitiger Tilgung des Anspruchs entfällt notwendig die Nachentrichtungspflicht.
Rz. 141
Für die Frage, von welchem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bei der Steuerhinterziehung zugunsten Dritter auszugehen ist, ist zu unterscheiden:
- Nach der hier vertretenen Ansicht, dass der Begriffsinhalt "zu seinen Gunsten" steuerrechtlich zu bestimmen ist (Rz. 130), ist ausschließlich das Bestehen des eigentlichen, von der Tat betroffenen Steueranspruchs maßgeblich.
- Bei der von der h. M. vertretenen "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" des Begriffsinhalts (Rz. 131) ist es konsequent, auf den Bestand des gegen den Tatbeteiligten bestehenden Haftungsanspruchs abzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass die Akzessorietät des Haftungsanspruchs nach § 191 Abs. 5 S. 2 AO bei einem Erlass des Steueranspruchs nicht gegeben ist (Rz. 175).
2.4.3.3.2 Auswirkungen des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO
Rz. 142
Eine vollendete Steuerhinterziehung nach § 370 AO ist auch dann strafbar, wenn ein Taterfolg gar nicht oder nur in geringerer Höhe eingetreten ist, als er für die Verurteilung nominell zugrunde zu legen ist. Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO werden bestimmte Minderungsgründe in die Berechnung des verkürzten Steuerbetrags bzw. des Steuervorteils nicht einbezogen, sondern nur im Bereich der Strafzumessung berücksichtigt (§ 370 AO Rz. 110). M. E. ist die steuerliche Kompensation bei der Konkretisierung der Nachentrichtungspflicht zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus dem Schadensausgleichsgedanken des § 371 Abs. 3 AO (Rz. 139). Selbst wenn man der Ansicht ist, dass § 370 Abs. 4 S. 3 AO der Verfahrenserleichterung dienen soll, um im Strafverfahren eine Aufrollung des gesamten Steuerfalls zu verhindern (§ 370 AO Rz. 111), kann dieser Gedanke nicht auf die Konkretisierung der Nachentrichtungspflicht übertragen werden, weil dies dem Zweck des § 371 Abs. 3 AO widersprechen würde. Dem Nachentrichtungspflichtigen würde sonst aus der Selbstanzeige ein strafrechtlicher Nachteil erwachsen, wenn er für die Erlangung der Straffreiheit einen fiktiven steuerlichen Schaden ausgleichen soll, der steuerlich nicht geltend gemacht werden könnte. § 371 Abs. 3 AO würde damit ein selbstständiger Ahndungscharakter beigemessen werden, der ihm nicht innewohnt (Rz. 139).
2.4.3.3.3 Nachträglicher Fortfall des steuerlichen Anspruchs
Rz. 143
Unter dem Gesichtspunkt der Schadensausgleichspflicht bewirkt auch jede nach Entstehung und vor Konkretisierung gem. § 371 Abs. 3 AO (Rz. 144) eintretende Minderung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (Rz. 141) eine Minderung der Nachentrichtungspflicht. Der Rechtsgrund der Minderung ist unerheblich.