Rz. 365
Über die "Gewährung einer angemessenen Nachentrichtungsfrist" entscheidet letztlich das Gericht der Hauptsache aufgrund der bis zur Hauptverhandlung über die Anklage gewonnenen Sachverhaltserkenntnisse. Die Entscheidung über die "Angemessenheit" der Frist obliegt bis zum Fristablauf dem Strafverfolgungsorgan, wobei diesem ein gerichtlich voll überprüfbarer Entscheidungsspielraum zusteht. Auch wenn keine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht, kann das Strafverfolgungsorgan, vornehmlich also die Bußgeld- und Strafsachenstelle, vor Fristablauf die Frist verlängern, wenn vor Ablauf der Frist ein Sachverhalt bekannt wird, der eine andere Beurteilung der "Angemessenheit" zulässt. Ggf. ist auch die Vereinbarung einer Ratenzahlung möglich.
Rz. 366
Der Antrag auf Fristverlängerung muss mit entsprechender Begründung vor Fristablauf rechtzeitig gestellt werden, sodass im Rahmen einer sachgerechten Bearbeitungsdauer die Entscheidung vor Fristablauf getroffen werden kann. Der Selbstanzeigende, der sich nicht nur auf die gerichtliche Entscheidung verlassen will, kann mithin die gesetzte Frist für einen Antrag auf Fristverlängerung nicht voll ausnutzen. Er muss vielmehr die Gründe für die Unangemessenheit der Fristsetzung unverzüglich vortragen.
Stellt der Selbstanzeigende den Antrag auf Fristverlängerung so spät, dass vor Fristablauf nicht mehr über ihn entschieden werden kann, so trägt er die Gefahr der zu späten Nachzahlung, da der Antrag nicht zu einer Hemmung des Fristablaufs führt. War die Frist also entgegen der Ansicht des Selbstanzeigenden angemessen, so ist die Option auf Straffreiheit verloren. Die Gewährung einer Nachfrist ist nicht angezeigt, da es dem sich selbst Anzeigenden obliegt, für eine rechtzeitige Nachzahlung zu sorgen.
Rz. 367
Der Antrag auf Verlängerung der Nachentrichtungsfrist gem. § 371 Abs. 3 AO ist bei dem Strafverfolgungsorgan zu stellen, das die Fristsetzung vorgenommen hat. Ein Stundungsantrag, die Einlegung eines Einspruchs oder ein im Einspruchsverfahren gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde, bei der die Selbstanzeigehandlung vorgenommen wurde, hindert den Ablauf der Nachentrichtungsfrist gem. § 371 Abs. 3 AO nicht, da es sich um eine selbstständige strafrechtliche Pflicht handelt, sodass steuerliche Entscheidungen insoweit keine Relevanz zukommt. Die Nachentrichtungfrist ist unabhängig von den im Besteuerungsverfahren gewährten Fristen.
Rz. 367a
Demgegenüber soll nach Joecks eine Stundung oder eine Aussetzung der Vollziehung bzw. sogar der rechtzeitige Antrag auf eine dieser Maßnahmen die Nachentrichtungspflicht hemmen. Damit erreicht Joecks, dass der Stpfl. nicht in die schwer verständliche Situation gelangt, dass er strafrechtlich etwas entrichten muss, was er steuerrechtlich aufgrund der Stundung oder Aussetzung der Vollziehung noch nicht zu leisten hat. Seine Meinung begründet er damit, dass strafrechtliche Erwägungen es nicht rechtfertigen könnten, auf der Zahlung eines Steuerbetrags zu bestehen, wenn Stundungsbedürftigkeit und -würdigkeit gegeben sind oder im Fall einer Aussetzung der Vollziehung die Rechtmäßigkeit der steuerlichen Forderung ernstlich zweifelhaft ist oder eine unbillige Härte darstellen würde.
Gegen die Ansicht von Joecks spricht systematisch jedoch, dass insoweit unzulässig und gegen § 393 Abs. 1 AO eine Verknüpfung des Steuerstrafverfahrens mit dem Besteuerungsverfahren hergestellt wird. Es ist zu berücksichtigen, dass ein die Fälligkeit der verkürzten Steuern auslösender Steuer- bzw. Haftungsbescheid noch gar nicht ergangen sein muss. Ergeht ein solcher Bescheid hingegen, so kann sich daraus keine Akzessorietät des strafrechtlichen Fristablaufs ergeben. Darüber hinaus vermögen die von Joecks vorgebrachten Argumente nicht zu überzeugen. § 371 AO erfordert aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift und dem darin enthaltenen Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch eine restriktive Auslegung der positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige, zu denen auch § 371 Abs. 3 AO zählt. Sonst würde durch die Berücksichtigung der rein steuerlich gesetzten Fristen in Form einer Stundung oder Aussetzung der Vollziehung die Gefahr entstehen, dass die Wirkung des verspäteten Strafausspruchs in Frage steht, die Strafverfolgung (u. U. strafzumessungsrelevant) verzögert wird oder es mitunter zur Vereitelung der Strafverfolgung im Hinblick auf die kürzere strafrechtliche Verjährung kommt. Weiterhin mag es zwar u. U. unter zwischenmenschlichen Gesichtspunkten im Einzelfall eingängig sein, quasi "durch die Hintertür" die für eine Stundungsbedürftigkeit oder -würdigkeit maßgeblichen Kriterien in den § 371 Abs. 3 AO einzuführen, aber mit dem Wortlaut und der rein strafrechtlichen Struktur der Norm ist dies nur schwer vereinbar. Ferner ist es in der Praxis auch sehr weit verbreitet, steuerlich die Vollziehung auszusetzen, wenn keine ernstlichen Zweifel oder unb...