Rz. 187
Nach § 371 Abs. 4 S. 1 AO darf ein "Dritter" (Rz. 179) nicht verfolgt werden, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat. Strittig ist der Umfang des Verfolgungshindernisses, resultierend vornehmlich aus der Frage, was unter dem Begriff der Erklärungen i. S. d. Bestimmung zu verstehen ist.
Rz. 188
Unstrittig wird durch § 371 Abs. 4 AO die Strafverfolgung des Dritten ausgeschlossen, wenn dessen Tat eine Steuerhinterziehung durch Nichterfüllung bzw. unrichtige oder unvollständige Erfüllung der Anzeigepflichten nach § 153 AO (§ 370 AO Rz. 62) ist. Diese Tathandlung kann nur gegeben sein, wenn der Dritte Anzeigepflichtiger i. S. v. § 153 AO ist (Rz. 184; § 153 AO Rz. 3–6), da sonst das in § 371 Abs. 4 AO inzidenter vorausgesetzte pflichtwidrige Verhalten nicht in Betracht kommt. Anzeigepflichtiger ist der Dritte zudem nur, wenn nicht bereits durch die Abgabe der ursprünglichen Erklärungen der Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt worden ist, da nur dann die Anzeigepflichten nach § 153 AO begründet werden (Rz. 8; § 153 AO Rz. 14). Die "Ursprungserklärung" darf nicht von vornherein wissentlich falsch abgegeben worden sein, denn anderenfalls kann die Fehlerhaftigkeit nicht i. S. v. § 153 Abs. 1 AO "nachträglich" erkannt werden (§ 153 AO Rz. 14), die Steuervergünstigung i. S. v. § 153 Abs. 2 AO nicht "nachträglich" unberechtigt sein (§ 153 AO Rz. 28) oder die Warenverwendung nach § 153 Abs. 3 AO nicht nachträglich bedingungswidrig erfolgen (§ 153 AO Rz. 31). Hat der Dritte von vornherein wissentlich falsche Erklärungen i. S. v. § 153 AO abgegeben und damit den Straftatbestand des § 370 AO erfüllt (§ 370 AO Rz. 60), so handelt es sich bei der korrigierenden Anzeige nicht um eine Anzeige nach § 153 AO (Rz. 8).
Rz. 189
Zweifelhaft ist jedoch, ob darüber hinaus durch § 371 Abs. 4 S. 1 AO auch die Strafverfolgung für einen Dritten ausgeschlossen wird, wenn dessen Tat eine Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (§ 370 AO Rz. 42, 50) bzw. durch Unterlassen der Abgabe (§ 370 AO Rz. 54, 57) darstellt, also die "Ursprungserklärungen" betrifft. Diese Ansicht, dass der Begriff der Erklärung in § 371 Abs. 4 S. 1 AO (Rz. 187) sich auch auf die fehlerhafte oder unterlassene "Ursprungserklärung" (Rz. 184a) erstreckt, ist grundlegend von Samson entwickelt worden. M. E. darf die verunglückte Formulierung des § 371 Abs. 4 S. 1 AO nicht mit der artikulierten Zielrichtung interpretiert werden, die Ausschlussgründe für die "Selbstanzeige" nach § 371 Abs. 2 AO (Rz. 62) zu umgehen, zumal die von Samson entdeckten Regelungslücken des § 153 AO jedenfalls nach der steuerrechtlichen Lit. und bei zutreffender Einordnung des § 153 AO in die Systematik der AO zur Steuererklärungspflicht nicht erkennbar sind (§ 153 AO Rz. 7, 9; Rz. 188). Auch begründet § 153 AO für den Gesamtrechtsnachfolger des Steuerhinterziehers und für die für den Steuerhinterzieher oder dessen Gesamtrechtsnachfolger nach §§ 34, 35 AO als gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter oder Verfügungsberechtigte handelnden Personen (Rz. 184b) keine "Berichtigungspflicht" (§ 153 AO Rz. 6).
Rz. 190
Der Wortlaut des § 371 Abs. 4 S. 1 AO (Rz. 187) ist dahingehend zu verstehen, dass ein "Dritter" (Rz. 179) nicht verfolgt werden darf, der die in § 153 AO bezeichneten Anzeigen (Rz. 182) abzugeben unterlassen oder – soweit er im Fall des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO über die Anzeige hinaus – Angaben unrichtig oder unvollständig abgegeben hat.
Durch § 371 Abs. 4 AO wird die Strafverfolgung des "Dritten", der die "Ursprungserklärung" wissentlich falsch abgegeben und dadurch eine Steuerhinterziehung begangen hat, nicht gehindert.