1.1 Inhalt und Bedeutung
Rz. 1
§ 38 AO trifft eine allgemeine Aussage darüber, zu welchem Zeitpunkt die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen. Dies ist der Fall, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Welche Bedingungen für die Entstehung des Anspruchs erfüllt sein müssen, ergibt sich nicht aus § 38 AO, sondern aus den Vorschriften der Einzelsteuergesetze und der AO, die die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs regeln. Auch das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung – der Grundsatz also, dass die Auferlegung steuerlicher Pflichten einer gesetzlichen Grundlage bedarf – folgt nicht aus § 38 AO, sondern aus dem für das Steuerrecht als Eingriffsrecht geltenden Gesetzesvorbehalt und wird in der Vorschrift vorausgesetzt.
1.2 Anwendungsbereich
Rz. 2
§ 38 AO gilt für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unabhängig davon, ob sie dem Steuergläubiger oder dem Stpfl. zustehen. Nach § 37 Abs. 1 AO sind dies der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in den Einzelsteuergesetzen geregelten Erstattungsansprüche.
1.3 Verhältnis zu anderen Vorschriften
Rz. 2a
Zum Teil enthalten die Einzelsteuergesetze Sondervorschriften, die die Regelung des § 38 AO wiederholen, konkretisieren, modifizieren oder ergänzen (s. Rz. 25-34). Besonderheiten gelten für die Vorauszahlungen auf bewertungsunabhängige Jahressteuern (s. Rz. 19) und für steuerliche Nebenleistungen (s. Rz. 23f.), deren Festsetzung in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist. Diese entstehen nicht bereits mit der Verwirklichung des abstrakten gesetzlichen Tatbestands, sondern erst mit dem behördlichen Festsetzungsakt. Entstehung und Festsetzung fallen bei ihnen daher zeitlich zusammen.
Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Enstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an. Für die insolvenzrechtliche Begründung ist entscheidend, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde. Dies ist der Fall, wenn der gesetzliche Besteuerungstatbestand verwirklicht worden ist. Dies richtet sich auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Bei Steuern, die nach § 38 AO erst mit Ablauf eines bestimmten Besteuerungszeitraums entstehen, kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerforderung darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand vor oder nach der Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Dies hängt im Fall der ESt auch von der Art der Einkünfteermittlung und im Fall der USt davon ab, ob die Umsätze nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten versteuert werden.
1.4 Bedeutung des Entstehungszeitpunkts
Rz. 3
Vor der Entstehung kann ein Anspruch weder Gegenstand eines Leistungsgebots sein, noch kann er erfüllt werden oder auf andere Weise erlöschen. Besondere Bedeutung hat der Zeitpunkt der Entstehung für:
Festsetzungsverjährung
Der gesetzessystematische Regelfall des § 170 Abs. 1 AO, wonach die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem die Steuer entstanden ist, wird bei den Besitz- und Verkehrsteuern zwar von den Vorschriften des § 170 Abs. 2 bis 4 AO verdrängt. Doch auch im Fall der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des dritten auf die Entstehung des Steueranspruchs folgenden Kalenderjahrs.
Fälligkeit
Soweit es in den Einzelsteuergesetzen an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit fehlt, wird der Anspruch mit seiner Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem nach § 254 AO erforderlichen Leistungsgebot eine Zahlungsfrist eingeräumt worden ist. Ergibt sich der Anspruch aus einer gesetzlich vorgeschriebenen Festsetzung, tritt die Fälligkeit jedoc...