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Tatbestand i. S. d. § 38 AO ist die Gesamtheit der in den materiellen Rechtsnormen enthaltenen abstrakten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen im konkreten Fall ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entsteht. Der Tatbestand ist damit das abstrakte Spiegelbild des konkreten Lebenssachverhalts, an dessen Verwirklichung die Entstehung des Anspruchs anknüpft. Die Tatbestandsmerkmale sind regelmäßig über eine Vielzahl unterschiedlicher Normen verstreut, aus denen sich das Steuersubjekt, das Steuerobjekt einschließlich seiner Zurechnung, Abzüge sowie der Steuersatz ergeben. Zu den Tatbestandsmerkmalen, die die Entstehung des Steueranspruchs regeln, gehören auch Vorschriften über die Steuerbefreiung.
Bei zeitraumbezogenen Steuern wie der ESt, der KSt, der GewSt und der USt, bei denen die Steuer nicht an einzelne steuerlich relevante Vorgänge, sondern an alle während eines bestimmten Zeitraums verwirklichten, für die Steuer bedeutsamen Sachverhalte in ihrer Gesamtheit anknüpft, gehört auch der Ablauf des jeweiligen Besteuerungs- oder Erhebungszeitraums zu den für die Entstehung des Steueranspruchs notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen. Dies bedeutet, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Besteuerungszeitraum nur eine sog. unechte Rückwirkung entfaltet und damit grundsätzlich zulässig ist.
Die Ansprüche entstehen in dem Zeitpunkt, in dem alle objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Maßgebend ist das Gesetz in seiner im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung geltenden Fassung. Spätere Gesetzesänderungen lassen den einmal entstandenen Anspruch unberührt. Etwas anderes gilt nur, wenn sich ein Gesetz – zulässigerweise – rückwirkende Geltung beimisst. Entgegen einer in zwei alten BFH-Entscheidungen vertretenen Ansicht hat die Rückwirkung nicht zur Folge, dass die Tatbestandsverwirklichung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsänderung fingiert wird. Vielmehr gilt der Anspruch bereits als zu dem Zeitpunkt entstanden, zu dem der Tatbestand verwirklicht worden wäre, wenn das Änderungsgesetz zu diesem früheren Zeitpunkt bereits gegolten hätte. Dies kann nicht nur für den Beginn der Festsetzungsverjährung, sondern auch in Fällen von Bedeutung sein, in denen zwischenzeitlich Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist oder ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Vom Tatbestand zu unterscheiden ist der Sachverhalt. Darunter ist die Gesamtheit der Tatsachen zu verstehen, die im konkreten Fall vorliegen und unter die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands subsumiert werden können. Der Sachverhalt, durch den der Steuertatbestand verwirklicht worden ist, muss eindeutig festgestellt werden. Die Feststellung der Tatsachengrundlage kann nicht durch Wahrscheinlichkeitserwägungen oder eine wahlweise Feststellung des Besteuerungsgrunds ersetzt werden. Die in § 162 AO vorgesehene Schätzung von Besteuerungsgrundlagen stellt nur eine scheinbare Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Denn sie bezieht sich nicht auf den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt als Ganzes, sondern nur auf numerische Werte und ähnliche Verhältnisse.