4.4.1 Vorspiegelung eines Sachverhalts
Rz. 25
Nach § 385 Abs. 2 AO gelten die genannten Verfahrensbestimmungen teilweise entsprechend bei Verdacht einer Straftat, die unter Vorspiegelung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts gegenüber einer Finanzbehörde oder einer anderen Behörde auf die Erlangung von Vermögensvorteilen gerichtet ist und kein Steuerstrafgesetz verletzt.
Das Tatbestandsmerkmal "Vorspiegelung" ist dem Betrugstatbestand entnommen. Eine Vorspiegelung von Tatsachen ist das Behaupten angeblicher Tatsachen, die im realen Geschehensablauf nicht vorgelegen haben.
4.4.2 Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen
Rz. 26
Dieses Merkmal ist dem Hinterziehungstatbestand entnommen. Steuerlich erheblich können nur Tatsachen sein, die sich auf einen Besteuerungsvorgang auswirken. Sie müssen zu den Besteuerungsgrundlagen gehören, also gemäß der Legaldefinition des § 199 Abs. 1 AO Teil der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sein, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgeblich sind. Der Wortlaut des § 199 Abs. 1 AO bezieht sich unmittelbar zwar nur auf den Steueranspruch, die Vorschrift gilt inhaltlich aber auch für alle übrigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 37 AO, also auch für Steuervergütungsansprüche oder Steuererstattungsansprüche.
4.4.3 Vorspiegelung gegenüber der Finanzbehörde oder einer anderen Behörde
Rz. 27
Auch dieses Merkmal ist dem Hinterziehungstatbestand entnommen. Hierbei ist wohl übersehen worden, dass für diesen Abschnitt des Gesetzes der Begriff Finanzbehörde durch § 386 Abs. 1 S. 2 AO inhaltlich festgelegt ist. Es dürfte aber die Begriffsbestimmung des § 6 AO gemeint sein. Behörde i. d. S. ist jede öffentlich-rechtliche Institution, die mit Wirkung nach außen Verwaltungstätigkeit ausübt.
4.4.4 Erlangung von Vermögensvorteilen
Rz. 28
Die Vorspiegelungshandlung muss auf die Erlangung von Vermögensvorteilen gerichtet sein. Der Begriff "Vermögensvorteil" ist dem Betrugstatbestand entnommen. Aus der Verbindung mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal, dass die Tat kein Steuerstrafgesetz verletzen darf, ergibt sich, dass dieser Vermögensvorteil nicht in einer Steuerverkürzung bzw. in einem Steuervorteil bestehen darf, da sonst der Straftatbestand des § 370 AO erfüllt ist. Nach § 370 Abs. 4 S. 2 AO sind auch Steuervergütungen Steuervorteile.
4.4.5 Keine Verletzung eines Steuerstrafgesetzes
Rz. 29
Die eingeschränkte Kompetenzerweiterung nach § 385 Abs. 2 AO setzt voraus, dass nicht schon die volle Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde nach § 386 AO besteht. Die Verletzung eines Steuerstrafgesetzes ist die Begehung einer Steuerstraftat i. S. v. § 369 AO bzw. einer Straftat, die wie eine Steuerstraftat geahndet wird.