3.1 Allgemeines
Rz. 18a
Die besondere selbstständige Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 AO setzt grundsätzlich die allgemeine Ermittlungskompetenz nach § 386 Abs. 1 AO voraus. Sie erweitert die allgemeine Ermittlungskompetenz, wenn
- ausschließlich eine Steuerstraftat vorliegt,
- ein Abgabenbetrug vorliegt.
Die besondere selbstständige Ermittlungskompetenz besteht nicht bei Vorspiegelungsstraftaten nach § 385 Abs. 2 AO.
Rz. 18b
Auf dieser Grundlage bringt § 386 Abs. 2 AO eine Modifizierung der staatsanwaltschaftlichen Monopolstellung insofern, als hierdurch der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO in diesem eingeschränkten Rahmen eine rechtlich selbstständige Ermittlungs- und Abschlussbefugnis eingeräumt wird. Diese selbstständige Rechtsstellung der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 AO schließt die allgemeine staatsanwaltschaftliche Ermittlungsbefugnis nicht aus bzw. schränkt sie auch nicht ein. Die Vorschrift begründet vielmehr nur eine konkurrierende Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde.
Rz. 18c
Inhaltlich führt die Finanzbehörde vornehmlich die strafrechtlichen Ermittlungen i. S. d. §§ 160 Abs. 1, 163 Abs. 1 StPO. Aufgrund des Legalitätsprinzips ist sie zur Strafverfolgung verpflichtet. Gemäß § 399 Abs. 1 AO nimmt sie in diesem Fall die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahr. Die Finanzbehörde ist insoweit nicht Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft und nicht staatsanwaltschaftlichen Weisungen oder deren Aufsicht unterworfen. Die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO ist insoweit grundsätzlich Herrin des Steuerstrafverfahrens.
Rz. 18d
Diese finanzbehördliche Verfahrensherrschaft steht aber unter staatsanwaltschaftlichem Vorbehalt. Die Staatsanwaltschaft kann durch Evokation der Finanzbehörde diese selbstständige Rechtsstellung entziehen, wie auch umgekehrt die Finanzbehörde die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben kann. Die Finanzbehörde erlangt mit der Abgabe oder der Evokation wieder ihre allgemeine Rechtsstellung als staatsanwaltschaftliches Ermittlungsorgan.
Die selbstständige Rechtsstellung besteht nur insoweit, als durch Gesetz, also insbesondere durch die AO, der Finanzbehörde ausdrücklich Befugnisse im Strafverfahren eingeräumt werden. Sie steht stets unter dem gesetzlichen Vorbehalt, dass in der Sache kein Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen wird.
Im Übrigen umfasst die Kompetenz der Finanzbehörde sowohl die Ermittlung des Sachverhalts als auch das Recht zur Stellung entsprechender Anträge beim Ermittlungsrichter und die Anordnung von Eilmaßnahmen (z. B. Durchsuchung, Beschlagnahme und Arrest). Die Grenze der Ermittlungsbefugnisse bildet die Pflicht zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Zudem ist die finanzbehördliche Kompetenz zum Abschluss des Steuerstrafverfahrens eingeschränkt auf die Befugnis zur Verfahrenseinstellung und zur Stellung eines Strafbefehlsantrags. Dies gilt sowohl für Steuerstraftaten i. S. d. § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO als auch für Begleittaten i. S. d. § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO.
3.2 Verdacht einer ausschließlichen Steuerstraftat § 386 (Abs. 2 Nr. 1 AO)
Rz. 19
Die selbstständige Ermittlungskompetenz mit staatsanwaltschaftlicher Rechtsqualität wird für die Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO nur dann begründet, wenn sich aufgrund des Lebenssachverhalts der Verdacht einer Straftat ergibt, die ausschließlich eine Steuerstraftat i. S. v. § 369 Abs. 1 AO bzw. eine rechtlich gleichgestellte Straftat ist.
Durch den die Tat bildenden Lebenssachverhalt können ein oder mehrere Straftatbestände verwirklicht sein. Hierbei ist es unerheblich, ob dieses Konkurrenzverhältnis als Tateinheit oder Tatmehrheit zu qualifizieren ist. § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO erfordert nur, dass sämtliche in Betracht kommenden Straftatbestände als Steuerstraftaten i. d. S. zu qualifizieren sind. Ist auch nur ein allgemeiner Straftatbestand gegeben, so wird – sofern nicht die Voraussetzungen des § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO erfüllt sind – die selbstständige Ermittlung...