Rz. 12a
Allgemein gelten im Rahmen des durch die Finanzbehörde geführten Strafverfahrens für diese dieselben Ermittlungsmöglichkeiten wie die der Staatsanwaltschaft. Die in § 399 Abs. 2 S. 2 AO aufgeführten Zwangsmaßnahmen können allerdings, wie bei der Staatsanwaltschaft auch, aufgrund des Richtervorbehalts aus eigener Kompetenz nur bei Gefahr im Verzug angeordnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Einholung einer vorherigen richterlichen Entscheidung den Untersuchungserfolg gefährden würde. Der Begriff der Gefahr im Verzug ist restriktiv auszulegen, um dem Richtervorbehalt, der Regelfall sein muss, Rechnung zu tragen. Insbesondere ist die künstliche Schaffung einer Lage, in der Gefahr im Verzug anzunehmen ist, zu vermeiden. Für zahlreiche mögliche Ermittlungshandlungen der Staatanwaltschaft gilt, dass diese dann i. d. R. für die Finanzbehörde nicht in Betracht kommen, wenn an die Anordnung solcher Maßnahmen bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. Dies gilt beispielsweise für die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO, die zwar grundsätzlich von der Finanzbehörde beantragt werden kann, aber nur für solche Straftaten in Betracht kommt, bei denen diese bereits zuvor gem. § 386 AO an die Staatsanwaltschaft hätte abgegeben werden müssen.
Rz. 12b
Bei grenzüberschreitenden Ermittlungssachverhalten ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich berechtigt, als Anordnungsbehörde für eine Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen aufzutreten. Dies gilt jedoch nicht für die Finanzbehörde, da diese nicht institutionell in die Strukturen der Staatsanwaltschaft eingebunden ist und sie damit keine Justizbehörde i. S. d. Richtlinie 2014/41/EU ist.
Es bleibt der Finanzbehörde die Möglichkeit, einen Antrag zu formulieren, der von der Staatsanwaltschaft sodann validiert wird. Letztlich kann jedoch auch ein Staatsanwalt eingriffsintensive Maßnahmen im Rahmen einer Europäischen Ermittlungsanordnung nur dann ergreifen, wenn ihm dies nach innerstaatlichem Recht zusteht. Im Übrigen bleibt dies dem Richter vorbehalten.
4.1 Vernehmung
Rz. 13
Die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO kann den Beschuldigten zur Vernehmung laden und ihm für den Fall des Ausbleibens nach § 133 StPO seine Vorführung androhen. Die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Vernehmung ergeben sich im Einzelnen aus §§ 136, 163a StPO.
Anders als bei einer Ladung des Beschuldigten zur Vernehmung durch die Steuerfahndung kann die Staatsanwaltschaft oder Finanzbehörde, sofern sie in eigener Zuständigkeit handelt, die Ladung mit Zwang, bis hin zur polizeilichen Vorführung, durchsetzen. Im Gegenzug hat der Beschuldigte einen Anspruch auf Vernehmung im Beisein seines Verteidigers. Dieser Anspruch besteht inzwischen nach § 163a Abs. 4 i. V. m. § 168c Abs. 1 StPO auch im Rahmen der Vernehmung durch die Steuerfahndung.
Rz. 14
Die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO kann nach § 161a StPO Zeugen und Sachverständige zur Auskunftserteilung oder Gutachtenerstattung laden. Im Fall des Ausbleibens kann gegen diese Personen neben den dadurch entstandenen Kosten ein Ordnungsgeld festgesetzt und können die Zeugen sogar zwangsweise vorgeführt werden.
Die Steuerfahndung ist nicht berechtigt, diese Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.
4.2 Auskünfte anderer Behörden
Rz. 15
Von allen öffentlichen Behörden kann die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO nach § 161 StPO im Rahmen ihrer Ermittlungen Auskunft und notfalls die Durchführung eigener Ermittlungen verlangen.
4.3 Beschlagnahme, Durchsuchung, vorläufige Festnahme
Rz. 16
Die Beschlagnahme und die Durchsuchung sind wie die Untersuchungshaft grundsätzlich der Anordnung des Richters vorbehalten. Bei Gefahr im Verzug sind zu Beschlagnahmen gem. §§ 98 Abs. 1, 111e, 111f StPO, zu Durchsuchungen gem. § 105 Abs. 1 StPO, zur Durchsicht von Papieren gem. § 110 StPO und zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO auch die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO sowie die Zoll- und Steuerfahndung befugt.
Das Recht zur Durchsicht von Papieren durch die Finanzbehörde in staatsanwaltschaftlicher Funktion bleibt unberührt.