3.1 Inkrafttreten und Außerkrafttreten
Rz. 76
Zeitliche Geltung entfalten Gesetze und Rechtsverordnungen ab ihrem Inkrafttreten. Mit diesem beginnt die Wirksamkeit (Rechtsverbindlichkeit). Für die Frage des zeitlichen Geltungswillens eines Gesetzes, insbesondere bei fehlendem Überleitungsrecht, gelten die Grundsätze zum sog. intertemporalen Recht. Die zur Geltung gelangte Rechtsnorm gilt bis zu ihrem Außerkrafttreten. Dieses tritt ein durch ausdrückliche Aufhebung, durch Zeitablauf bei befristeter Geltungsdauer, durch Ersetzung aufgrund späteren ranggleichen oder ranghöheren Rechts (zu den Kollisionsregelungen vgl. Rz. 104 ff.) sowie durch Nichtigkeitsfeststellung des BVerfG.
3.2 Rückwirkung von Gesetzen
Rz. 77
Ein für das Steuerrecht zentrales Verfassungsproblem ist das des zeitlich rückwirkenden Erlasses eines belastenden Gesetzes. Als Oberbegriff bedeutet die Rückwirkung die normative Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Rechtsnorm auf einen Zeitpunkt, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm Gültigkeit erlangt hat. Zum verfassungsrechtlichen Problemfall werden rückwirkende Rechtsnormen, soweit belastend, aufgrund der im Rechtsstaatsprinzip angelegten Rechtsguts der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes – der auch das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der (Steuerrechts-)Ordnung sichert – sowie der im Einzelfall betroffenen Grundrechte. Dabei gehören zu den belastenden Steuergesetzen auch solche, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben.
Rz. 78
Im Grundsatz dürfen belastende Steuergesetze ihre Wirksamkeit nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schützwürdiges Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage enttäuschen. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist allerdings nicht auf die Steuergesetze anwendbar. Bei der rückwirkenden Inkraftsetzung begünstigender Vorschriften ergeben sich hingegen in aller Regel keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Rz. 79
Aus einem einheitlichen Oberbegriff der "Rückwirkung" lassen sich allerdings keine hinreichend trennscharfen Maßstäbe ableiten. Nach der Rspr. des BVerfG ist bei rückwirkenden belastenden Steuergesetzen zwischen der echten Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") und der unechten Rückwirkung ("tatbestandlichen Rückanknüpfung") zu unterscheiden. Allein aus dem Oberbegriff einer "Rückwirkung" im weitesten Sinne lassen sich keine Verfassungsmaßstäbe herleiten.
3.2.1 Echte Rückwirkung
Rz. 80
Eine echte Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Die echte Rückwirkung ist, weil das Vertrauen des Einzelnen auf den Bestand und das Bestehenbleiben einer Rechtslage verletzt wird, grundsätzlich mit der Verfassung unvereinbar. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition durch eine zeitlich zurückwirkende Gesetzesänderung nicht verändert wird.
Rz. 81
Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Bei der Einkommen- und KSt ist die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum als unechte Rückwirkung zu beurteilen; auf Eingriffe in abgeschlossene Sachverhalte bei anderen Abgaben ist diese Beurteilung jedoch nicht übertragbar.
Rz. 82
An dieser Abgrenzung von echter bzw. unechter Rückwirkung und die Anknüpfung an die Abgeschlossenheit des Veranlagungszeitraums hält das BVerfG trotz der daran geübten Kritik ausdrücklich fest. Damit bietet die jetzige BVerfG-Rspr. ke...