5.1 Rechtscharakter
Rz. 108
Keine Rechtsnormen i. S. d. § 4 AO sind die Verwaltungsanordnungen oder Verwaltungsvorschriften, deren Ziel in erster Linie die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Besteuerungspraxis ist. Sie enthalten bindende verwaltungsinterne Anweisungen von im Behördenaufbau weisungsbefugten Stellen an nachgeordnete Dienststellen. Als bloßes Innenrecht entfalten sie grundsätzlich keine Bindungswirkung gegenüber den Stpfl. und den Gerichten und sind grundsätzlich allein Gegenstand, nicht aber Maßstab gerichtlicher Kontrolle. Davon geht auch die BFH-Rspr. aus. Verwaltungsvorschriften bedürfen grundsätzlich keiner gesetzlichen Ermächtigung, sondern finden ihre Rechtsgrundlage in der ungeschriebenen Organisations- und Geschäftsleitungsbefugnis der Verwaltung und ferner in der für den Vollzug der Steuergesetze verfassungsgebotenen Gleichheit im Belastungserfolg.
Rz. 109
Ein Anspruch des Stpfl. auf Einhaltung solcher Anweisungen und damit eine Bindungswirkung auch der anweisenden Stellen kann sich ausnahmsweise aus dem Gleichheitssatz oder aus der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Die Verwaltung, die die Masse aller Fälle gleich behandelt, darf nicht willkürlich in Einzelfällen anders verfahren. Dies folgt aus dem Gleichheitssatz, nicht dagegen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser Grundsatz kann nur in einem konkreten Verhältnis zwischen Finanzbehörde und Stpfl. angewendet werden, um das es in einem solchen Fall gerade nicht geht.
5.2 Rechtsgrundlagen
Rz. 110
Verwaltungsvorschriften kommen unter zahlreichen Bezeichnungen und mit sehr unterschiedlicher Bedeutung vor. Die Bezeichnung lässt dabei meist die Stelle erkennen, die die Anordnung erlassen hat oder sie kennzeichnet eine besondere Bedeutung der Verwaltungsvorschrift. Die normalen Anweisungen oberster Bundes- oder Landesbehörden ergehen regelmäßig als Erlass, allgemeine Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung als Richtlinien oder Ordnungen. Die Verwaltungsvorschriften nachgeordneter Dienststellen des Bundes oder der Länder werden meist als Verfügungen (OFD-Verfügungen, Amtsverfügungen) bezeichnet.
Rz. 111
Nach Art. 108 Abs. 7 GG kann die Bundesregierung im Bereich des Steuerrechts allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, und zwar für den Bereich der von den Ländern und Gemeinden verwalteten Steuern nur mit Zustimmung des Bundesrats.
Rz. 112
Im Bereich der Auftragsverwaltung gem. Art. 108 Abs. 3 GG unterstehen die Landesbehörden nach Art. 85 Abs. 3 GG den Weisungen des BMF. Aus der Tatsache, dass in Art. 108 GG die allgemeinen Verwaltungsvorschriften und die Weisungen nebeneinander stehen, muss geschlossen werden, dass unter Weisungen nur Einzelweisungen zu verstehen sind. Allgemeine Weisungen etwa in der Form von Erlassen kann daher das BMF im Bereich der Auftragsverwaltung der Länder nicht erteilen, da damit die notwendige Zustimmung des Bundesrats für allgemeine Verwaltungsvorschriften umgangen würde. Da zu dieser Frage zwischen BMF und obersten Landesfinanzbehörden Meinungsunterschiede bestanden, ist hierzu folgende Lösung vereinbart worden: Zur verwaltungsinternen Regelung bestimmter über einen Einzelfall hinaus bedeutsamer Fragen sendet danach das BMF zuvor mit den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmte Schreiben, deren Inhalt diese dann als Erlasse an ihre nachgeordneten Behörden weitergeben.
Rz. 113
Nach ihrem Inhalt lassen sich unterschiedliche Arten von Verwaltungsvorschriften unterscheiden. Neben den sog. Organisationsanweisungen, die die Behördenabläufe regeln und grundsätzlich ohne Außenwirkung sind, dienen die Verwaltungsvorschriften der Auslegung im weitesten Sinn von steuerrechtlichen Vorschriften. Hierzu gehören die sog. norminterpretierenden und typisierenden Verwaltungsvorschriften sowie die Verwaltungsvorschriften zur Ausübung des Ermessens einschließlich Übergangsvorschriften.
5.3 Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften
Rz. 114
Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften (insbesondere Richtlinien, BMF-Schreiben oder gemeinsame Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder) sollen die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern und dienen einer möglichst einheitlichen Verwaltungspraxis. Sie weisen die nachgeordneten Dienststellen an, wie einzelne Vorschriften auszulegen sind. Die Rechtsnormen können sehr häufig nicht so eindeutig formuliert werden, dass kein Auslegungsspielraum mehr besteht. Hier greifen die norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften für eine möglichst einheitliche Aus...