Rz. 3
§ 42 AO geht auf § 6 StAnpG zurück, der seinerseits mit geringfügigen Änderungen die seit 1919 geltende Regelung des § 5 RAO übernommen hatte. § 6 StAnpG bestimmte in seinen beiden ersten Absätzen, dass durch Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts die Steuerpflicht nicht umgangen oder gemindert werden könne und die Steuern bei Vorliegen eines Missbrauchs so zu erheben seien, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären. Der abschließende Abs. 3 enthielt verfahrensrechtliche Regelungen über die Anrechnung bzw. Erstattung der aufgrund der für unwirksam zu erachtenden Maßnahmen etwa entrichteten Steuern.
Die zum 1.4.1977 in Kraft getretene Fassung vom 16.3.1976 übernahm nur die beiden ersten Absätze des § 6 StAnpG und fasste sie in zwei – dem heutigen Abs. 1 S. 1 und 3 entsprechenden – Sätzen zusammen. Inhaltlich ging die Neuregelung insofern über § 6 StAnpG hinaus, als die Beschränkung des Missbrauchstatbestands auf Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des "bürgerlichen" Rechts aufgegeben wurde.
Rz. 4
Durch das StÄndG 2001 vom 20.12.2001 wurde die Vorschrift um einen Abs. 2 ergänzt. Dieser bestimmte, dass Abs. 1 anwendbar sei, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei.
Die Anfügung des Abs. 2 stellte die Reaktion des Gesetzgebers auf zwei Entscheidungen des BFH dar, nach denen § 42 AO neben spezialgesetzlichen Regelungen keine Anwendung finden sollte. Mit der als "Klarstellung" bezeichneten Gesetzesänderung sollte verhindert werden, dass in Einzelfällen weder § 42 AO noch spezialgesetzliche Regelungen zur Anwendung kommen.
Rz. 5
Durch das JStG 2008 v. 20.12.2007 wurde die in Abs. 2 enthaltene Konkurrenzregelung inhaltlich neu gefasst und als neuer S. 2 in Abs. 1 überführt. Der bisherige S. 2 des Abs. 1 wurde unter redaktioneller Anpassung zu S. 3. Mit dem neu gefassten Abs. 2 wurde erstmals eine gesetzliche Definition des Missbrauchsbegriffs vorgenommen.
Die Neufassung der Konkurrenzregelung soll klarstellen, dass § 42 AO gleichrangig neben anderen Vorschriften steht, die Steuerumgehungen regeln, und deshalb auch dann anwendbar bleibt, wenn deren Voraussetzungen im Einzelfall nicht vorliegen. Die gesetzliche Definition des Missbrauchstatbestands, die der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Rechtssicherheit dienen soll, war im Gesetzgebungsverfahren Gegenstand kontroverser Diskussion. Nach dem Regierungsentwurf sollte ein Missbrauch vorliegen, wenn eine zu einem Steuervorteil führende ungewöhnliche rechtliche Gestaltung gewählt wird. Ungewöhnlich sollte eine Gestaltung sein, die nicht der Gestaltung entspricht, die vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele vorausgesetzt wurde. Dieser Vorschlag stieß überwiegend auf Kritik. Der Bundesrat äußerte die Befürchtung, dass Wertungsaspekte von Steuergesetzen, die vom Gesetzgeber nicht vorgesehen worden seien, nicht mehr in die Beurteilung einfließen könnten. In einem von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern des BMF und der obersten Finanzbehörden der Länder erarbeiteten und vom Finanzausschuss des Bundestags übernommenen Alternativentwurf wurde der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch in einem empirischen Sinne zu verstehende Begriff "ungewöhnlich" durch den wertenden Begriff "unangemessen" ersetzt. Auf eine gesetzliche Definition des Begriffs der Unangemessenheit wurde verzichtet, weil diese nur unter Verwendung weiterer wertender, unbestimmter Rechtsbegriffe möglich gewesen wäre und nach der in der öffentlichen Anhörung geäußerten Kritik zu einer "Versteinerung" des Missbrauchsbegriffs hätte führen können.