5.2.2.1 Steuervorteil
Rz. 80
Mit dem Erfordernis des dem Stpfl. oder einem Dritten entstehenden Steuervorteils knüpft die gesetzliche Missbrauchsdefinition ebenfalls an ein in der Rspr. des BFH entwickeltes Kriterium an. Diese hatte die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs von jeher davon abhängig gemacht, dass die von dem Stpfl. gewählte rechtliche Gestaltung der Steuerminderung dient. Entsprechendes wurde für den Einsatz unangemessener Gestaltungen zur Verwirklichung des Tatbestands einer begünstigenden Gesetzesvorschrift angenommen.
Rz. 81
Der in § 42 Abs. 2 AO verwendete Begriff Steuervorteil ist nicht deckungsgleich mit dem gleichlautenden Begriff in § 370 AO. Er umfasst nicht nur Steuervergütungen und Steuererstattungen. Ein Steuervorteil ist vielmehr immer dann gegeben, wenn die steuerlichen Folgen der unangemessenen Gestaltung für den Stpfl. oder den Dritten günstiger sind als bei der nach § 42 Abs. 1 S. 3 AO maßgeblichen angemessenen Gestaltung. Der Steuervorteil kann auch darin bestehen, dass die Entstehung des Steueranspruchs hinausgeschoben oder seine Durchsetzung zumindest zeitweilig verhindert wird.
Bei der Prüfung, ob ein Steuervorteil eintritt, ist auf den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Stpfl. abzustellen Bei laufend veranlagten Steuern ist der Vergleich der Steuerbelastungen grundsätzlich für den Zeitraum vorzunehmen, für den die gewählte Gestaltung (voraussichtlich) gelten soll.
Eine Saldierung der sich aus einer grenzüberschreitenden Gestaltung für in- und ausländische Konzerngesellschaften ergebenden Vor- und Nachteile kommt wegen der Subjektbezogenheit des Vergleichs hingegen nicht in Betracht.
Nicht anwendbar ist § 42 AO auf Gestaltungen, die zu einer höheren Belastung führen.
Rz. 82
Der sich aus der unangemessenen Gestaltung ergebende Steuervorteil kann nach dem Gesetz auch einem Dritten entstehen. Wen das Gesetz mit einem Dritten meint, ist unklar und wird unterschiedlich beurteilt. Nach der Verwaltungsauffassung sind darunter nur solche Personen zu verstehen, die in einer gewissen Nähe zum Stpfl. stehen. Dies soll insbesondere bei Angehörigen i. S. des § 15 AO und bei solchen Personen anzunehmen sein, die z. B. als nahestehende Personen i. S. v. H 8.5 KStH 2015 oder § 1 Abs. 2 AStG persönlich oder wirtschaftlich mit ihm verbunden sind. Auch in der Literatur wird eine solche Nähebeziehung aus verfassungsrechtlichen Gründen für unerlässlich gehalten.
Praktisch läuft die Einbeziehung des einem Dritten entstehenden Steuervorteils in den Missbrauchstatbestand aber ohnehin vollständig ins Leere. Denn die sich aus § 42 Abs. 1 S. 3 AO ergebende Rechtsfolge, dass der Steueranspruch so wie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entsteht, kann nur gegenüber dem Stpfl. gezogen werden (s. Rz. 65) und ist deshalb von vornherein auf die Neutralisierung der Steuervorteile beschränkt, die ihm aus der unangemessenen Gestaltung entstehen würden.
5.2.2.2 "Gesetzlich nicht vorgesehener" Steuervorteil
Rz. 83
Der durch die unangemessene Gestaltung entstehende Steuervorteil begründet nach dem Gesetz nur dann einen Missbrauch, wenn er gesetzlich nicht vorgesehen ist. In der Rspr. des BFH zu § 42 AO vor Inkrafttreten des JStG 2008 ist dieses Merkmal in dieser Form nicht aufgetaucht. Die Auffassungen über seine Bedeutung gehen stark auseinander. Während Wienbracke der Ansicht ist, dass die Worte "gesetzlich nicht vorgesehen" bei der Rechtsanwendung beiseite gelassen werden müssten, sieht Wendt in ihnen den Schlüssel für das Verständnis und die Anwendung des neu gefassten § 42 AO.
...