3.1.1 Zahlung
3.1.1.1 Begriff der Zahlung
Rz. 9
Der Begriff "Zahlung" stellt eine zusammenfassende Bezeichnung derjenigen Leistungshandlungen dar, die zur Erfüllung der sich aus dem Steuerschuldverhältnis ergebenden Geldleistungspflichten geeignet sind. Er ist gleichbedeutend mit der Bewirkung der geschuldeten Leistung an den Gläubiger i. S. v. § 362 Abs. 1 BGB. Aus der in § 224 Abs. 2 AO getroffenen Regelung, wann eine wirksam geleistete Zahlung als entrichtet gilt, ergibt sich nur der für die Anknüpfung von Säumnisfolgen maßgebliche Zahlungszeitpunkt. Unter welchen Voraussetzungen die dort aufgezählten Vorgänge zu einer wirksamen Zahlung führen, ist § 224 Abs. 2 AO ebenso wenig zu entnehmen wie den anderen im Klammerzusatz des § 47 AO aufgeführten Vorschriften. Dies hängt vielmehr von den dafür maßgeblichen zivilrechtlichen Regelungen ab. Die Zahlung ist daher ein im wesentlichen nach privatrechtlichen Vorschriften zu beurteilender Vorgang, der aus öffentlich-rechtlichem Grund (Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis) und mit öffentlich-rechtlicher Wirkung (Erlöschen des Anspruchs) erfolgt.
3.1.1.2 Wirksamkeitsvoraussetzungen der Zahlung
Rz. 10
Aus dem Wesen der Zahlung als Bewirkung der geschuldeten Leistung i. S. v. § 362 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass sie grundsätzlich an den Gläubiger des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis erfolgen muss. Etwas anderes gilt nur dann, wenn diesem die Empfangszuständigkeit für die Entgegennahme der Leistung fehlt, weil ihm die Verfügungsmacht über die Forderung entzogen oder er geschäftsunfähig bzw. in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Leistungen an einen Dritten führen zu einem Erlöschen des Schuldverhältnisses, wenn dieser von dem Gläubiger als Vertreter, Hilfsperson oder Zahlstelle in den Zahlungsvorgang einbezogen worden oder als Pfand- oder Pfändungsgläubiger zur Einziehung der Forderung berechtigt ist.
Ausnahmsweise können auch Leistungen an einen Nichtberechtigten zum Erlöschen des Anspruchs führen, wenn das Vertrauen des Leistenden in dessen Empfangszuständigkeit durch besondere Vorschriften geschützt ist. Die Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Insolvenzverwalter soll allerdings dazu führen, dass ihm im Rahmen des § 82 InsO eine Berufung auf die Zurechnung des Wissens des ehemals örtlich zuständigen FA von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwehrt ist.
Zahlungen an die Finanzbehörde sind nach § 224 Abs. 1 S. 1 AO an die zuständige Kasse, d. h. die Kasse der zuständigen Finanzbehörde bzw. der für diese zuständigen Kasse, zu entrichten.
Rz. 11
Nach § 48 Abs. 1 AO können Leistungen aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber der Finanzbehörde auch durch Dritte bewirkt werden. Erfüllungswirkung hat die Zahlung des Dritten aber nur, wenn sie auf eine bestehende Verpflichtung des Schuldners und nicht auf eine – irrtümlich angenommene – eigene Schuld des Dritten erfolgt. Anderenfalls begründet sie einen Erstattungsanspruch des Dritten nach § 37 Abs. 2 AO.
Rz. 12
Bei Gesamtschuldverhältnissen wirkt die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner nach § 44 Abs. 2 S. 1 AO auch für die übrigen Gesamtschuldner. Wird die gegenüber dem Bedachten festgesetzte Schenkungsteuer von diesem entrichtet, kann die Steuer gegenüber dem Schenker selbst dann nicht mehr festgesetzt werden, wenn sie dem Bedachten wegen einer Änderung des Steuerbescheids zunächst erstattet, später aber in der ursprünglichen Höhe wieder gegen ihn festgesetzt worden ist.
Rz. 13
Die Erfüllungswirkung einer Zahlung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie "unter Vorbehalt" erfolgt. Bei mehreren offenen Schuldbeträgen kann der Schuldner bei freiwilligen Zahlungen die Reihenfolge der Tilgung bestimmen. Ohne eine solche Bestimmung richtet sich die Tilgungsreihenfolge nach § 225 Abs. 2 AO, in den Fällen der Vollstreckung nach § 225 Abs. 3 AO.
Rz. 14
Die Erfüllungswirkung der Zahlung setzt die Entstehung des Anspruchs i. S. v. § 38 AO, nicht jedoch seine Festsetzung voraus. Zahlungen, die nach Entstehung des abstrakten, materiell-rechtlichen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auf diesen geleistet worden sind, lassen diesen daher auch insoweit erlöschen, als sie die durch Steuerbescheid festgesetzte Steuer übersteigen. Im Widerspruch dazu stand allerdings die Auffassung des BFH, dass Steuerzahlungen aufgrund unwirksamer Steuerbescheide nach Ablauf der Festsetzungsfrist einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO begründen sollen. Im Hinblick auf den durch G. v. 19.12.1985 eingefügten § 171 Abs. 14 AO hat diese Entscheidung allerdings keine praktische Bedeutung mehr, weil die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht ende...