3.2.1 Entschließungs- und Auswahlermessen
Rz. 17
Manche gesetzlichen Ermessensermächtigungen gewähren neben einem Entschließungsermessen (auch sog. Handlungsermessen) auch ein Auswahlermessen.
Rz. 18
Das Entschließungsermessen betrifft die Frage, ob die Behörde eine der von der Ermessensvorschrift bereitgestellten Rechtsfolge eintreten lassen und ob sie überhaupt handeln will. So kann die Finanzbehörde z. B. sich nach § 328 Abs. 1 AO dafür entscheiden, die Vornahme einer Handlung durch Zwangsmittel zu erzwingen oder nach § 152 Abs. 1 AO einen Verspätungszuschlag festzusetzen. Bei Haftungsansprüchen ist im Rahmen des Entschließungsermessens die Frage zu entscheiden, ob ein Haftungsbescheid überhaupt ergehen soll. Besteht allerdings neben dem Haftungsanspruch oder den Haftungsansprüchen noch die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Steuerschuldners, so ist die Entscheidung über den Haftungsbescheid eine Frage des Auswahlermessens zwischen mehreren Gesamtschuldnern i. S. d. § 44 AO. Das Entschließungsermessen setzt im Übrigen voraus, dass die Ermächtigungsvorschrift den Verzicht auf eine Entscheidung überhaupt zulässt (vgl. Rz. 37).
Rz. 19
Hat die Finanzbehörde ihr Entschließungsermessen ausgeübt oder stand ihr ein solches nicht zu, hat sie zwischen den mehreren Wahlmöglichkeiten bei den Rechtsfolgen eine der Möglichkeiten auszuwählen, also das Auswahlermessen auszuüben. Dieses betrifft in den unter Rz. 18 genannten Beispielen die Frage der Höhe des anzudrohenden Zwangsgelds oder festzusetzenden Verspätungszuschlags. Nach der Ermessensentscheidung im Rahmen des Entschließungsermessens für eine Haftungsinanspruchnahme hat die Finanzbehörde möglicherweise noch im Rahmen einer Entscheidung zum Auswahlermessen zu befinden, welchen von mehreren Haftenden sie ganz, teilweise oder gar nicht in Anspruch nehmen will. Zum Ermessen bei der Haftung vgl. ausführlich Schwarz, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor §§ 69–77 AO Rz. 28–30.
Rz. 20
Eine ermessensbegründende Vorschrift kann so gestaltet sein, dass der Behörde sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen zusteht und der Ausspruch der Rechtsfolge damit – so im Fall der Festsetzung des Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO – eine zweifache Ermessensentscheidung erfordert. Hier erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Gegenstand des Erschließungsermessens mit demjenigen des Auswahlermessens übereinstimmt.
3.2.2 Vorgeprägtes bzw. intendiertes Ermessen
Rz. 21
Ein sog. vorgeprägtes oder intendiertes Ermessen liegt vor, wenn das Ermessen in eine bestimmte Richtung vorgeprägt ist, d. h. die das Ermessen einräumende Vorschrift für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um eine abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Für den Regelfall ist hier die Richtung der Ermessensbetätigung bereits durch die ermessenseinräumende Vorschrift vorgezeichnet. Eine an diesem Regelfall orientierte Ermessensentscheidung ist nur rechtsfehlerhaft, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen und die Behörde diese Umstände nicht erwogen hat.
Rz. 22
Ein vorgeprägtes (intendiertes) Ermessen ist regelmäßig bei sog. Soll-Vorschriften gegeben und kann auch vorliegen, wenn nach der Gesetzesregelung "regelmäßig" eine bestimmte Rechtsfolge eintreten soll. Eine Vorprägung des Ermessens wird ferner angenommen für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts gem. § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO, für das Auswahlermessen bezüglich eines Haftungsbescheids bei mehreren Haftungsschuldnern, in Fällen der vorsätzlichen Pflichtverletzung oder Steuerhinterziehung einschließlich der Beihilfe, für das Entschließungsermessen betr. Erlass einer Teileinspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO oder die Entscheidung über die Abzweigung von Kindergeld gem. § 74 Abs. 1 EStG. Ob einer ermessensbegründenden Vorschrift eine Vorprägung des Ermessens entnommen werden kann, ist unter Berücksichtigung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze zu entscheiden.
Rz. 23
Praktische Bedeutung hat das vorgeprägte bzw. intendierte Ermessen insbesondere im Hinblick auf die reduzierte verfahrensrechtliche Pflicht der Behörde zur Begründung der Ermessensentscheidung. Übt die Behörde ihr Ermessen entsprechend der vorgeprägten Ermessensentscheidung aus, bedarf es insoweit keiner Begründung der Ermessensbetätigung. Erforderlich ist eine weitergehende Begründung nur bei Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Ausnahmefalls. Die irrige Annahme eines vorgeprägten Ermessens ist ein Ermessensfehler.
Rz. 24
Die sowo...