Rz. 3
Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO ist eine Bildung von zweckgebundenen Rücklagen (Zweck- oder Projektrücklagen) nur insoweit zulässig, als dies zur nachhaltigen Erfüllung der gemeinnützigen Zwecke erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist im Hinblick auf den Grund und die Höhe der Rücklagenbildung sowie auf die zeitliche Planung "nach objektiven Kriterien des konkreten Falls" laufend, d. h. während der gesamten Dauer der Rücklagenbildung, zu überprüfen.
Die Rücklage kann gebildet werden, wenn sich die Erfüllung eines satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecks verzögert und daher die für die Erfüllung dieses Zwecks erforderlichen Mittel thesauriert werden müssen; zum Begriff der "Mittel" vgl. § 55 AO Rz. 8ff. In die Rücklage eingestellt werden können daher Überschüsse aus Vermögensverwaltung der Körperschaft, Spenden und Mitgliederbeiträge sowie Überschüsse aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und Zweckbetrieb.
Es muss sich immer um einen konkreten, bereits bekannten steuerbegünstigten Zweck handeln, dessen Erfüllung ernsthaft geplant ist. Die Rücklagenbildung ist für jeden Zweck im Bereich der satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke möglich; es muss sich nicht um ein "Investitionsvorhaben" (z. B. Errichtung eines Gebäudes) handeln, es kann sich auch um eine größere Veranstaltung – beispielsweise die Durchführung eines Fachkongresses – handeln. Weshalb die Erfüllung dieses Zweckes zeitlich in die Zukunft verlagert ist, ist dagegen ohne Bedeutung; der Grund kann sowohl in dem erforderlichen finanziellen Volumen liegen, das eine mehrjährige Ansammlung der Beträge erforderlich macht, als auch in sonstigen Verzögerungen, z. B. Fehlen einer behördlichen Genehmigung.
Die Bildung einer Projektrücklage für eine geplante Vermögensausstattung einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft ist nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zulässig. Dies überzeugt nicht. § 58 Nr. 3 AO lässt zu, dass Mittel in bestimmtem Umfang – Jahr für Jahr erneut – für die Vermögensausstattung anderer gemeinnütziger Körperschaften verwendet werden. Es ist nicht nachvollziehbar – und aus der Zielsetzung des § 58 Nr. 3 AO nicht ableitbar, dass ein Endowment nur mit im Vorjahr erwirtschafteten Mitteln durchgeführt werden darf.
Die Rücklage kann nicht gebildet werden, um die allgemeine Leistungsfähigkeit der Körperschaft zu erhöhen; dann fehlt es an einem konkreten Rücklagenzweck.
Rz. 4
Eine betragsmäßige Grenze für die Bildung der Rücklage besteht nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Daher kann die Rücklage bis zu der Höhe der geschätzten Kosten des konkreten Projekts gebildet werden. Eine Abzinsung der Zweckrücklage um den Betrag, der bis zur Umsetzung des konkreten Projekts in der Zukunft durch die verzinsliche Anlage der Rücklagenmittel erwirtschaftet werden kann, ist nicht geboten: Wird die Höhe der Rücklage ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt ihrer Bildung bestimmt, dann gleicht der Verzicht auf die Abzinsung den inflatorischen Effekt bis zum Realisationszeitpunkt aus.
Auch zeitliche Grenzen für die Rücklage bestehen nicht; sie darf beibehalten werden, solange die Verwirklichung des konkreten steuerbegünstigten Zwecks, für den die Rücklage gebildet worden ist, ernsthaft geplant ist. Es muss sich jedoch um ein konkretes Ziel handeln, das nach den Umständen des Einzelfalls noch verwirklicht werden kann; es genügt nicht ein in unabsehbarer Ferne liegendes oder praktisch kaum zu erreichendes Ziel. Die Rücklage darf beibehalten werden, solange das Projekt ernsthaft geplant und noch nicht verwirklicht ist; sie ist zugunsten des steuerbegünstigten Bereichs aufzulösen, wenn das Projekt aufgegeben wird oder nach Abschluss des Projekts nicht die ganze Rücklage benötigt worden ist.
Eine Rücklage als Ausgleich für die durch Geldentwertung verminderte Leistungsfähigkeit der Körperschaft ist als Zweckrücklage nicht zulässig; der Ausgleich der Geldentwertung ist nur über eine freie Rücklage nach Nr. 3 zulässig.
Als Unterfall der Zweckrücklage lässt die Finanzverwaltung die Bildung einer Betriebsmittelrücklage für periodisch wiederkehrende Ausgaben (z. B. Mieten, Löhne, Gehälter) in Höhe des Mittelbedarfs für eine angemessene Zeitspanne zu. Die Betriebsmittelrücklage soll Unsicherheiten auf der Einnahmenseite kompensieren, die sich daraus ergeben, dass bestimmte Einnahmegrößen – beispielsweise die Höhe der Spendeneinnahmen – nicht verlässlich kalkuliert werden können. Daraus folgt, dass eine gemeinnützige Körperschaft, die als Anstaltsträgerin tätig ist und vollständig oder ganz überwiegend (gut kalkulierbare) Einnahmen im Zweckbetrieb erzielt, ein geringeres Bedürfnis zur Bildung einer Betriebsmittelrücklage hat, als ein rein spendenfinanzierter Träger. Die Frage der Angemessenheit der Zeitspanne für die Rücklagenbildung ist daher unter Berücksichtigung der Finanzierungsstruktur der gemeinnützigen Körperschaft zu beantworten; sie dürfte zwischen einem und sechs Monaten liegen. Die Grundsätze der Bildung von Zweckrücklagen gelt...