Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
3.1 Geschäftsveräußerung
Rz. 4
Mit den Begriffen "Unternehmen" und "in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb" verwendet § 75 AO Begriffe, die auch im Umsatzsteuerrecht vorkommen. Da die Entwicklungsgeschichte in beiden Bereichen Berührungspunkte und Parallelen hat, kann für die Begriffsbestimmung hier auch auf die früher bei der USt entwickelten Gesichtspunkte zurückgegriffen werden. Insbesondere gilt dies für die zum Begriff der Geschäftsveräußerung zu § 10 Abs. 3 UStG (zum 1.1.1994 außer Kraft getreten) gefundenen Auslegungen. Ob der in § 1 Abs. 1a UStG in der ab 1.1.1994 geltenden Fassung verwendete Begriff der Geschäftsveräußerung ebenso wie derjenige der Vorgängervorschrift § 10 Abs. 3 UStG auszulegen ist, erschien zunächst im Hinblick auf die Formulierung im Umfeld (z. B. Hervorhebung des Unternehmers, der unentgeltlichen Übertragung, Einbringung in Gesellschaft) als nicht zweifelsfrei. Allerdings ist die höchstrichterliche Rspr. dann im Hinblick auf die Auslegung des § 1 Abs. 1a UStG unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 8 6. EG-RL von den Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen abgegangen.
Rz. 4a
Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet wird. Dabei kann der Übergang in mehreren, zeitlich auseinander fallenden Teilakten geschehen. Die Geschäftsveräußerung ist in einem solchen Fall mit dem letzten Teilakt vollendet. Dies ist für den Zeitpunkt des Übergangs sowie für das Gesamtbild zur Wertung als Geschäftsveräußerung entscheidend. Die bei Beginn der Übertragung in mehreren Teilakten vorhandenen Geschäftsgrundlagen müssen im Wesentlichen selbstständig auf den Erwerber übergegangen sein. Die Teilakte müssen allerdings unselbstständig und zu einem einheitlichen Vorgang verklammert sein, um einen Übergang im Ganzen darzustellen. Mehrere völlig getrennte Übertragungsakte reichen nicht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sind, ist nämlich derjenige der "Übereignung". Die Übertragung sämtlicher Anteile an einer Personenhandelsgesellschaft in einem Vorgang oder in einem engen wirtschaftlichen und zeitlichen Zusammenhang bedeutet keine Übereignung im Ganzen i. S. d. § 75 AO, auch wenn dies früher im Umsatzsteuerrecht von der Verwaltung und der Rspr. angenommen wurde. Das Unternehmen bzw. der gesondert geführte Betrieb kann unter besonderen Umständen aus einem einzigen Gegenstand, z. B. einem bebauten Grundstück, bestehen.
3.2 Unternehmen — gesondert geführter Betrieb
3.2.1 Unternehmen
Rz. 5
Ein Unternehmen i. S. d. § 75 AO ist eine organisatorische Zusammenfassung von Mitteln oder dauernden Maßnahmen, die der selbstständigen Ausübung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit dienen. Als Unternehmen kann also nicht ohne Weiteres jedes Unternehmen i. S. d. § 2 Abs. 1 UStG genommen werden. Das verwendete Tatbestandsmerkmal "Unternehmen" ist nämlich nach Sinn und Zweck der Haftungsvorschrift auszulegen. Nach dem Grundgedanken der Vorschrift (vgl. Rz. 1) erfordert sie jedoch eine organisierte Grundlage für die Haftungsfolge. Wer ohne diese durch nachhaltige Umsätze zum umsatzsteuerlichen Unternehmer wird, hat noch kein Unternehmen i. S. d. § 75 AO. Das Unternehmen umfasst die gesamte wirtschaftliche Betätigung des Unternehmers, es kann dabei mehrere selbstständige oder unselbstständige Betriebe verschiedener Art enthalten.
Rz. 6
Die Art der wirtschaftlichen Betätigung ist hierbei grundsätzlich unerheblich. So kann z. B. ein Unternehmen in der Tour eines Transportsubunternehmers bestehen, die mit dem Transportfahrzeug auf den neuen Transportsubunternehmer übergeht. Als Unternehmen i. S. d. § 75 AO können auch landwirtschaftliche Betriebe oder freiberufliche Praxen sowie die Vermietung und Verpachtung verstanden wer...