Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
3.1 Bedeutung der Vorschrift
Rz. 29
Die Duldungspflicht nach § 77 Abs. 2 AO ist in dem Fall anwendbar, in dem der Schuldner der Steuer, die rechtlich als öffentliche Grundstückslast (s. Rz. 33) gestaltet ist, nicht als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen ist. Ist der Schuldner zugleich eingetragener Eigentümer, so kann in das Grundstück bereits aufgrund des Steuerbescheids vollstreckt werden, eines Duldungsbescheids bedarf es nicht (s. Rz. 3). Der Rechtsgrund für die fehlende Eintragung ist unerheblich.
Vor allem kann die Vorschrift dann angewendet werden, wenn nach Entstehung der öffentlichen Grundstückslast das Eigentum übertragen worden ist. Hier begründet sie eine steuerliche Duldungspflicht für den Rechtsnachfolger. § 77 Abs. 2 AO ergänzt insoweit § 323 AO. Diese Ergänzung ist erforderlich, weil für Steuern, die zugleich eine öffentliche Grundstückslast sind, die Eintragung einer zusätzlichen Sicherungshypothek nicht zulässig ist.
3.2 Grundbesitz
Rz. 30
Grundbesitz ist i. S. d. Bewertungsrechts zu verstehen, sodass auch die zum Grundstück gehörenden Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie Betriebsgrundstücke von der Duldungspflicht erfasst werden. Besteht bewertungsrechtlich eine wirtschaftliche Einheit aus mehreren Grundstücken i. S. d. GBO, so erstreckt sich die Duldungspflicht auf alle Grundstücke. Die Regelung für die Gesamthypothek ist entsprechend anzuwenden. Im Fall der Gesamthypothek könnte sich der Gläubiger aus jedem der Grundstücke ganz oder zum Teil befriedigen. Entsprechendes gilt für die sog. öffentliche Gesamtlast.
3.3 Grundeigentümer
Rz. 31
Die Duldungspflicht nach § 77 Abs. 2 AO trifft den jeweiligen Eigentümer des Grundbesitzes unabhängig davon, ob er von der Duldungspflicht Kenntnis hat oder nicht.
Nach § 77 Abs. 2 S. 2 AO gilt zugunsten der Finanzbehörde derjenige als Eigentümer, der als solcher im Grundbuch eingetragen ist. Diese Eigentumsfiktion ist unwiderlegbar. Auch wenn die Finanzbehörde positive Kenntnis von der Unrichtigkeit der Eintragung hat oder im Grundbuch ein Widerspruch eingetragen ist, hindert dies die Geltendmachung der Duldungspflicht nicht.
Infolge der Eigentumsfiktion kann der eingetragene Eigentümer gegen den Duldungsbescheid im Einspruchsweg nicht geltend machen, dass die Grundbucheintragung unrichtig sei.
Die Eigentumsfiktion bewirkt, dass der nicht eingetragene tatsächliche Eigentümer ebenfalls gehindert ist, im Weg des Drittwiderspruchs nach § 262 AO sein Recht am Grundstück geltend zu machen und damit die Vollstreckung in das Grundstück zu verhindern. Allerdings räumt § 77 Abs. 2 S. 2 AO dem nicht eingetragenen tatsächlichen Eigentümer das Recht ein, seine Einwendungen gegen die öffentliche Last geltend zu machen. Hierzu muss er Drittwiderspruch nach § 262 AO erheben, sein Eigentum nachweisen und darlegen, warum die öffentliche Last nicht mehr besteht.
3.4 Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis
3.4.1 Steuer
Rz. 32
Nach § 77 Abs. 2 S. 1 AO hat der Grundeigentümer die Zwangsvollstreckung wegen einer Steuer zu dulden. Die Duldungspflicht erstreckt sich nach dem eindeutigen Wortlaut nicht auf steuerliche Nebenleistungen i. S. v. § 3 Abs. 4 AO. Bei einem Grundstückserwerb im Weg der Zwangsversteigerung soll die Duldungspflicht für die GrSt (s. Rz. 34) nach OVG Koblenz v. 8.12.1981, 6 A 279/80, KTS 1982, 484 nur für die im Zeitpunkt des Zwangsversteigerungstermins festgesetzte Steuer bestehen, nicht aber für eine spätere, rückwirkende Erhöhung durch nachträgliche Wertfortschreibung.
3.4.2 Öffentliche Grundstückslast
Rz. 33
Die Duldungspflicht besteht nur für solche Steuern, die als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruhen. Öffentliche Grundstückslasten i. d. S. sind dingliche Sicherungsrechte an dem Grundstück für eine öffentlich-rechtliche Abgabe, die aufgrund ausdrücklicher öffentlich-rechtlicher Rechtsnormen entstehen. Sie sind im Grundbuch nicht eingetragen. Öffentliche Lasten werden in der Zwangsversteigerung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG vorrangig aus dem Grundstückserlös entrichtet. Im Insolvenzverfahren besteht insoweit ein Absonderungsrecht. Öffentliche Grundstückslasten entstehen kraft Gesetzes oder kraft einer auf Gesetz beruhenden Satzung. Eine vertragliche Bestellung einer öffentlichen Grundstückslast ist ausgeschlossen. Werden Grundpfandrechte oder Grunddienstbarkeiten bestellt, handelt es sich um zivilrechtliche Verhältnisse.
Rz. 34
§ 77 Abs. 2 AO betrifft unmittelbar nur öffentliche Grundstückslasten bezüglich Steuern. Steuern, die kraft Gesetzes öffentliche Lasten darstellen, sind z. B. die GrSt und die Hypothekengewinnabg...