Dr. Zacharias-Alexis Schneider
Rz. 39
Die Handlungsfähigkeit des Beteiligten ist eine notwendige Verfahrenshandlungs- und Sachentscheidungsvoraussetzung. Fehlt dem Beteiligten die rechtliche oder natürliche Handlungsfähigkeit, so müssen die gesetzlichen Vertreter oder satzungs- bzw. vertragsgemäßen Organe für den Beteiligten handeln.
Die Handlungsfähigkeit des Beteiligten, die im Zeitpunkt der Vornahme der Verfahrenshandlung vorliegen muss, ist stets von Amts wegen zu beachten. Fehlende Handlungsfähigkeit bewirkt die Unwirksamkeit der vorgenommenen Verfahrenshandlung. Dies gilt sowohl für aktive als auch passive Verfahrenshandlungen. Auf eine positive Kenntnis der Finanzbehörde von der Handlungsunfähigkeit kommt es nicht an. Der gute Glaube der Finanzbehörde an die Handlungsfähigkeit ist nicht geschützt.
Rz. 40
Nur der Handlungsfähige kann im Verwaltungsverfahren gegenüber der Finanzbehörde rechtswirksam tätig werden, mithin wirksam Anträge stellen, Steuererklärungen einreichen, Rechtsbehelfe einlegen oder zurücknehmen etc. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzbehörde Erklärungen eines handlungsunfähigen Beteiligten von vornherein gänzlich unberücksichtigt lassen darf. Aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes in § 88 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde etwaigen aus der Erklärung ersichtlichen Tatsachen von Amts wegen nachzugehen. Aktive Verfahrenshandlungen von einem Verfahrenshandlungsunfähigen sind von der Finanzbehörde zurückzuweisen, um dem Beteiligten die Möglichkeit der Klärung dieser Rechtsfrage zu ermöglichen.
Rz. 41
Die Finanzbehörde kann Verfahrensverhandlungen, z. B. die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, wirksam nur gegenüber Handlungsfähigen vornehmen. Verfahrenshandlungen gegenüber einem Handlungsunfähigen sind unwirksam. Will die Finanzbehörde gegenüber einem Handlungsunfähigen wirkam einen Steuerverwaltungsakt bekannt geben, so ist dieser an den Verhandlungsunfähigen als Inhaltsadressat, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter als Bekanntgabeadressat zu richten, und dem gesetzlichen Vetreter bekannt zu geben.
Soweit von der Handlung die Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung abhängt, tritt diese Wirkung nicht ein. Dies gilt auch für lediglich rechtlich vorteilhafte Verfahrenshandlungen, wie den Erlass einer Steuerschuld, da § 107 BGB im Steuerverwaltungverfahren keine Anwendung findet. Die Unwirksamkeit besteht selbst dann, wenn die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt. Die Behörde muss sich direkt an den gesetzlichen Vertreter bzw. an den Bevollmächtigten wenden. Sind mehrere Vertreter vorhanden, wie bspw. im Rahmen der Gesamtvertretung Minderjähriger durch beide Elternteile, genügt die Bekanntgabe gegenüber einem Vertreter. Fehlt ein Vertreter, so muss dieser durch das Gericht bestellt werden.
Rz. 42
Die Heilung der Unwirksamkeit der von dem oder gegenüber dem Handlungsunfähigen vorgenommenen Handlungen ist durch die nachträgliche Genehmigung des gesetzlichen Vertreters möglich. An die Stelle der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters tritt die Genehmigung des ehemals Handlungsunfähigen, wenn dieser nachträglich handlungsfähig geworden ist.
Die Genehmigung kann formlos entweder ausdrücklich oder durch konkludentes Verhalten erteilt werden. Allerdings bedeutet das Schweigen des gesetzlichen Vertreters auf die Kenntnisnahme von der unwirksamen Handlung keine Genehmigung, sie erfordert stets eine positive Willensentscheidung, die für die Finanzbehörde erkennbar wird. Bloße Untätigkeit kann dieses Erfordernis nicht erfüllen.
Mit der Genehmigung wird die Handlung grundsätzlich rückwirkend (ex tunc) wirksam. Dies gilt auch im Fall der fehlerhaften Vertretung, selbst nach Ablauf der Einspruchs- bzw. Klagefrist. Ist dagegen eine Verfahrenshandlung innerhalb einer – nicht verlängerbaren – Ausschlussfrist vorzunehmen, ist die Genehmigung der unwirksamen Verfahrenshandlung nur bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist möglich. Nach Ablauf der Ausschlussfrist kommt allenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Die grds. rückwirkende Heilungsmöglichkeit gilt jedoch nicht für den Beginn der Einspruchsfrist. Zum Schutz des Handlungsunfähigen beginnt diese bei mündlichen und schriftlichen Verwaltungsakten erst im Zeitpunkt der Genehmigung (ex nunc).
Rz. 43
Die Unwirksamkeit der von oder gegenüber dem Handlungsunfähigen vorgenommenen Verfahrenshandlungen kann im Einspruchsverfahren bzw. finanzgerichtlichen Klageverfahren geltend gemacht werden. Dies kann auch durch den Handlungsunfähigen geschehen, der im Streit über die Handlungsfähigkeit insoweit als handlungsfähig anzusehen ist. Aufgrund der Anfechtung ist der Rechtsschein eines wirksamen Verwaltungsakts zu beseitigen, wenn die Handlungsunfähigkeit festgestellt wird. Der Beteiligte trägt die Feststellungslast für das Vorliegen einer Handlungsunfähigkeit. Die Feststellung kann auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist geschehen, da der unwirksame Verw...