Prof. Dr. Alexander Kratzsch
Rz. 8
Die Wohnung muss der Stpfl. u. U. innehaben, die auf ihre Beibehaltung und Nutzung schließen lassen. Das Innehaben setzt voraus, dass der Stpfl. über die Wohnung jederzeit tatsächlich verfügen kann und er sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch in größeren Zeitabständen, aufsucht. Eine rechtlich abgesicherte Verfügungsbefugnis (z. B. Miete, Leihe etc.) ist nicht erforderlich (auch wenn diese i. d. R. vorliegen wird), sodass auch eine rechtmäßig gekündigte Wohnung ein "Innehaben" begründen kann; zu prüfen bleibt allerdings die Voraussetzung der voraussichtlichen Beibehaltung und Benutzung. Das kann bei mehreren Wohnungen nebeneinander der Fall sein, wie u. a. § 19 Abs. 1 S. 2 zeigt, wenn er von der Möglichkeit mehrerer Wohnsitze ausgeht. Eine Mindestzahl an Aufenthaltstagen im Jahr ist insoweit nicht erforderlich; die Nutzung der Wohnung muss jedoch zu Wohnzwecken erfolgen und sie muss in Umfang und Regelmäßigkeit über gewöhnliche Ferien- und Erholungsaufenthalte hinausgehen, sodass es bei nur in wenigen unregelmäßigen Abständen benutzten (z. B. 2–3 Wochen/Jahr) Zweit- oder Ferienwohnungen an einem "Innehaben" fehlt. Ein Stpfl. kann allerdings mehrere Wohnsitze i. S. d. § 8 AO haben. Diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung können zur Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes führen. Ausnahmsweise kann ein Wohnsitz eines Stpfl. im Inland auch dann angenommen werden, wenn eine vorübergehende Unterbrechung im Innehaben einer inländischen Wohnung eintritt. Das gilt z. B. auch in dem Fall, in dem ein Stpfl. seine eingerichtete Eigentumswohnung unvermietet zurücklässt, wenn er zur Erfüllung eines auf 2 Jahre befristeten Arbeitsvertrags ins Ausland geht. Hat eine Person eine einen Wohnsitz begründende Wohnung im Inland innegehabt und gibt sie diese mit der Absicht auf, demnächst eine andere Wohnung im Inland u. U. zu beziehen, die auf ein Beibehalten und Nutzen schließen lassen, so kann ein durchgehender Wohnsitz im Inland anzunehmen sein, allerdings m. E. nur, wenn die Wohnungen (nahezu) ununterbrochen zur Verfügung stehen, also lediglich unterbrochen für wenige Tage. Soweit die Rechtsprechung darüber hinaus auch bei längerer Zeit ohne Nutzungsmöglichkeit einer Wohnung für mehrere Wochen dennoch einen durchgehenden Wohnsitz annahm, ist dies abzulehnen.
Der Stpfl. muss über die Wohnung i. d. S. tatsächlich verfügen können, dass er sie zu Wohnzwecken jederzeit tatsächlich (mit-)nutzen kann, ggf. aufgrund eines abgeleiteten Nutzungsrechts. Der bloße (unmittelbare oder mittelbare) Besitz einer Wohnung, die z. B. zur Vermietung an einen Dritten überlassen ist, reicht allerdings nicht aus, da auch der unmittelbare Besitz keine tatsächliche Nutzung voraussetzt. Unbeachtlich für die Frage des Innehabens einer Wohnung ist auch, wer die dafür anfallende Miete trägt. Im Fall einer durchgehenden Nutzung einer Wohnung von mehr als 6 Monaten ist der Rückgriff auf die 6-Monats-Frist in § 9 S. 2 AO als Anhaltspunkt für eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung gerechtfertigt. Denn die Frist des § 9 S. 2 AO bestimmt, ab welcher Zeitdauer ein Aufenthalt nicht mehr nur ein vorübergehender ist. Dieser Gedanke kann auch für § 8 AO herangezogen werden, weil die nur vorübergehende Nutzung einer Wohnung keinen Wohnsitz begründet.