Rz. 11
Das Besteuerungsverfahren ist – anders als das gerichtliche Verfahren – grundsätzlich kein förmliches Verfahren. Eine besondere Einleitung im Wege einer förmlichen Erklärung über die Anhängigkeit des Verfahrens und über die Rechtsstellung der Beteiligten erfolgt im Gegensatz zum Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren nicht. Ein steuerliches Verwaltungsverfahren beginnt regelmäßig mit einer nach außen wirkenden Tätigkeit der Finanzbehörde, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist. Mit der verfahrenseinleitenden Handlung erlangt der Adressat die Stellung eines Beteiligten. Rein behördeninterne Vorbereitungshandlungen sind dem Innenbereich der Verwaltung zuzurechnen und führen deshalb noch nicht zu einem Verfahrensbeginn. Im Amtsverfahren löst zumeist die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung oder eine anderweitige Form der Beteiligtenanhörung den Verfahrensbeginn aus.
Rz. 12
Bei der Verwirklichung des durch § 85 AO erteilten Besteuerungsauftrags sind die Finanzbehörden an Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Die Verfahrenshandlungen müssen also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Erforderlich ist die Anwendung der finanzbehördlichen Handlungsbefugnisse, wenn ein Kontroll- bzw. Aufklärungsbedürfnis besteht. Es bedarf eines hinreichenden Anlasses. Dieser ist aus der Sicht der Finanzbehörde und nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Verfahrensbeginns zu beurteilen. Die Finanzbehörde muss eine Prognoseentscheidung treffen. Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich ein für die Besteuerung relevanter Sachverhalt verwirklicht worden ist. Hierüber verschafft sich die Finanzbehörde erst im Wege der Sachaufklärung Klarheit. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist in § 88 Abs. 3 und 4 AO eine Erleichterung eingetreten, weil diese Prognoseentscheidung nicht länger im Einzelfall getroffen werden muss, mithin in Abgleich der Kontrolldaten mit der Erklärung des Stpfl., sondern für Kategorien von Mitteilungen diese Entscheidungen abstrakt, also ohne Bezug zum Einzelfall, getroffen werden können. Erforderlich ist allerdings insoweit das Einvernehmen der obersten Finanzbehörden der Länder und des Bundes. Diese neu geschaffenen Regelungen helfen beim Umgang umfangreicher Kontrolldaten (z. B. Rentenbezugsmitteilung, ausländischen Kontrollmaterials), sodass nur die mutmaßlich ein fiskalisches Risiko enthaltene Mitteilungen zur Überprüfung am Einzelfall durchgeleitet wird und so ineffiziente Prüfungshandlungen vermieden werden.
Rz. 13
Ein hinreichender Anlass ist nicht nur gegeben, wenn konkrete Anhaltspunkte auf einen steuererheblichen Sachverhalt hindeuten. Auch muss kein Verdacht im strafprozessualen Sinne vorliegen. Es genügt vielmehr, wenn nach den allgemeinen Erfahrungen der Finanzbehörde (abstrakte) Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein steuergesetzlicher Tatbestand erfüllt sein könnte. So können z. B. missverständliche Bankbescheinigungen, die nach stichprobenhafter Überprüfung zu fehlerhaften Veranlagungen geführt haben, ein Sammelauskunftsersuchen gegenüber dem ausstellenden Kreditinstitut rechtfertigen.
Rz. 14
Erst wenn klar und eindeutig feststeht, dass kein besteuerungsrelevanter Sachverhalt verwirklicht worden ist oder wenn der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits erloschen ist, dürfen keine Ermittlungsmaßnahmen mehr ergriffen werden. So ist die Anforderung einer Steuererklärung rechtswidrig, wenn im konkreten Einzelfall unter keinem Gesichtspunkt eine Steuerpflicht bestehen kann, nicht aber, wenn eine Steuerpflicht zumindest möglich ist. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind dagegen immer unzulässig.