Prof. Dr. Alexander Kratzsch
Rz. 17
Ausbildungsaufenthalte: Studenten und andere in Ausbildung befindliche Personen, die am Studien- oder Ausbildungsort in einem möblierten Zimmer oder in einem Wohnheim wohnen und bei ihren Eltern ein Zimmer behalten, begründen mit der Anmietung einer der genannten Unterkünfte regelmäßig einen Wohnsitz. Sie begründen einen (weiteren) Wohnsitz, oftmals jedenfalls ihren gewöhnlichen Aufenthalt grds. am Studienort. Mit dem Ortswechsel verlagert sich regelmäßig der Lebensmittelpunkt zum Studienort, auch wenn die Semesterferien weiterhin am Wohnort der Eltern verbracht werden; maßgebend sind die Einzelfallumstände. Für im Inland studierende Ausländer folgt dies schon aus § 9 S. 2 AO, soweit sie auch die Semesterferien (überwiegend) im Inland verbringen.
Asylbewerber begründen während des Asylverfahrens i. d. R. keinen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 S. 1 AO, weil die Umstände im Regelfall für ein vorübergehendes Verweilen sprechen. Bei einem Aufenthalt von mehr als 6 Monaten greift jedoch § 9 S. 2 AO ein. In der Entscheidung des BFH v. 11.9.1987, III R 148/86, BStBl II 1988, 14, urteilte der BFH hinsichtlich der im Kindergeld früher relevante Vorschrift des § 30 Abs. 3 SGB I, die anders als § 9 S. 2 AO nicht die gesetzliche Vermutung kannte, wonach bei einem Zeitraum von mehr als 6 Monaten ein gewöhnlicher Aufenthalt anzunehmen ist. Da der Aufenthalt nicht geschäftlich veranlasst ist, könnte sich die Frist entsprechend der nunmehr bestehenden Gesetzeslage gem. § 9 S. 3 auf ein Jahr verlängern. Da allerdings ein "ähnlicher privater Zweck" i. S. v. § 9 S. 3 AO nicht vorliegen dürfte, reicht ein Aufenthalt von mehr als 6 Monaten. Ein Wohnsitz wird während des Aufenthalts im Asylantenheim nicht stets begründet.
Ehegatten können ihre Lebensmittelpunkte an unterschiedlichen Orten haben. Bei intakter Ehe liegt bei regelmäßiger Rückkehr an den gemeinsamen Aufenthaltsort jedoch regelmäßig ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt vor.
Grenzgänger/-pendler, d. h. Arbeitnehmer, die vom Ausland aus ihre Arbeitsstätte im Inland aufsuchen und nach Arbeitsschluss regelmäßig wieder an ihren Wohnort im Ausland zurückkehren, haben im Inland i. d. R. keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Anders kann dies sein, wenn der Grenzpendler in erheblichem Umfang im Inland übernachtet (z. B. bei Übernachtung während der Arbeitswoche und Rückkehr zu seinem ausländischen Wohnort nur am Wochenende).
Geschäftsunfähige und beschränkt Geschäftsfähige können grds. eigenständig einen eigenen gewöhnlichen Aufenthalt begründen.
Kinder haben i. d. R., aber nicht stets, ihren gewöhnlichen Aufenthalt am gewöhnlichen Aufenthaltsort der erziehungsberechtigten Eltern (bzw. des maßgeblichen Elternteils). Bei Ausbildungsaufenthalten begründen sie i. d. R. am Ausbildungsort einen gewöhnlichen Aufenthalt.
Ein Seemann, der sich für längere Zeit auf hoher See befindet und lediglich zu Heimaturlauben ins Inland zurückkehrt, hat grds. keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, auch wenn er über eine inländische Bankverbindung, ein Postfach und Angehörige im Inland verfügt. Bei einer Abwesenheit von mehr als 6 Monaten kann die Frist von mehr als 6 Monaten als Anhaltspunkt für eine Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts gewertet werden (Vermutung), es sei denn, dass besondere Umstände darauf schließen lassen, dass die Beziehungen zum Inland erhalten bleiben sollen. Spätestens nach 12 Monaten liegt regelmäßig – soweit sich der Seemann nicht längerfristig im Inland aufhält – eine Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts vor.