3.1 Zweck der Vorschrift
Rz. 33
Nach allgemein anerkanntem Völkerrecht darf kein Staat außerhalb seiner Staatsgrenzen auf fremdem Gebiet hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben (Grundsatz der formellen Territorialität). Dieses Verbot gilt sowohl für Zwangsakte als auch für sonstige hoheitliche Maßnahmen, sofern nicht völkerrechtliche Vereinbarungen eine ausdrückliche Erlaubnis enthalten. Es ist den deutschen Finanzbehörden mithin grundsätzlich verwehrt, im Ausland Sachverhaltsermittlungen durchzuführen.
Rz. 34
Der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr in Steuersachen hat in den letzten Jahren zwar erheblich an Bedeutung gewonnen. Deutschland hat in jüngerer Vergangenheit mit zahlreichen Staaten DBA mit sog. "großen Auskunftsklauseln" bzw. isolierte Rechts- und Amtshilfeabkommen abgeschlossen. Außerdem wird der automatische Informationsaustausch auch auf internationaler Ebene fortlaufend intensiviert. Der internationale Auskunftsverkehr unterliegt aber weiterhin erheblichen rechtlichen Beschränkungen und leidet insbesondere unter tatsächlichen Schwierigkeiten. Hinzu kommt, dass die Auskunftsklauseln eine Inanspruchnahme der ausländischen Behörden regelmäßig erst dann gestatten, wenn die Sachaufklärungsmaßnahmen im Inland – und hierzu zählt auch die Mitwirkungspflicht des Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO – nicht zum Ziel geführt haben bzw. keinen Erfolg versprechen. Dieses Subsidiaritätsprinzip gilt gem. Art. 2 Abs. 1 S. 2 der EU-Amtshilfe-Richtlinie auch innerhalb der EU.
Rz. 35
Die aus ständiger Rechtsprechung abgeleitete Vorschrift des § 90 Abs. 2 AO soll verhindern, dass die Aufklärung von Auslandssachverhalten und damit zugleich die Durchsetzung des materiellen Steuerrechts an den stark eingeschränkten Ermittlungsbefugnissen der Finanzbehörden scheitert. Deshalb erweitert die Norm unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe (vgl. Rz. 6f.) die Mitwirkungsplichten des Beteiligten. Würde der Beteiligte nicht nach den Grundsätzen der Verantwortungsgemeinschaft zu einer erhöhten Mitwirkungspflicht herangezogen, wäre das Ergebnis Beweisnotstand und in dessen Folge ungesetzliche Besteuerung. Die Regelung greift auch ein, wenn bei einem zweigliedrigen Sachverhalt nur ein Teil Auslandsbezug hat. Spezielle Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten sehen die §§ 16, 17 AStG vor.
Rz. 36
Typische Anwendungsfälle für die erweiterte Mitwirkungspflicht sind in der Praxis die Zwischenschaltung ausländischer Domizil- bzw. Basisgesellschaften, der Betriebsausgabenabzug bei Zahlungsempfängern im Ausland, der Nachweis von Unterhaltsleistungen an im Ausland ansässige Angehörige sowie Liefer- und Leistungsbeziehungen zu ausländischen verbundenen Unternehmen und nahe stehenden Personen.
3.2 Umfang der erweiterten Mitwirkungspflicht
3.2.1 Sachaufklärungs-/Beweismittelbeschaffungspflicht
Rz. 37
Nach § 90 Abs. 2 S. 1 AO trifft die Beteiligten bei Vorgängen mit Auslandsbezug eine Sachaufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht. Dabei haben sie alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies geht deutlich über die Regelung des § 90 Abs. 1 AO hinaus, der lediglich zu einer Mitwirkung bei der Sachaufklärung sowie einer Benennung von Beweismitteln verpflichtet. Die Beteiligten müssen eine erschöpfende, sowohl im Detail als auch im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße, durch die Finanzbehörden verifizierbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sachverhalts geben. Die Anforderungen hieran sind umso höher, je mehr sich der Stpfl. auf ungewöhnliche Gestaltungen und Abwicklungen einlässt.
Rz. 38
Die erweiterten Mitwirkungspflichten erfassen stets nur den Beteiligten des jeweiligen Besteuerungsverfahrens, nicht dessen ausländischen Geschäftspartner. Die Vorschrift ermächtigt auch nicht zu allgemeinen Befragungsaktionen mittels Formularen. Ebenso lässt sich aus § 90 Abs. 2 S. 1 AO nicht herleiten, dass ein sich im Ausland abspielender Vorgang nur dann als nachgewiesen an...