Rz. 100
Auch § 90 Abs. 3 AO beseitigt nicht den Untersuchungsgrundsatz und die damit verbundenen primären Ermittlungspflichten der Finanzbehörde. Nach den allgemein geltenden Darlegungs- und Beweislastregeln obläge es ohne nähere gesetzliche Ausgestaltung der Finanzbehörde, die Unangemessenheit der Verrechnungspreise zu belegen (vgl. Rz. 61). Allerdings hat der Gesetzgeber durch das StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl I 2003, 660 in § 162 Abs. 3 und 4 AO parallel zur Einführung der Dokumentationspflichten die Rechtsfolgen einer Mitwirkungspflichtverletzung gesondert geregelt.
Rz. 101
§ 162 Abs. 3 S. 1 AO sieht eine widerlegbare Vermutung vor, dass bei einer Verletzung der Dokumentationspflicht eine verrechnungspreisspezifische Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung i. S. d. § 8 Abs. 3 KStG stattgefunden hat. Die Finanzbehörde erhält in Fällen einer verweigerten Vorlage, bei einer fehlerhaften bzw. einer nicht zeitgerecht erstellten Dokumentation eine Schätzungsbefugnis. Damit tritt faktisch eine Beweislastumkehr ein, sobald der Stpfl. eine Dokumentation unterlässt, eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation erstellt oder bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen von einer zeitnahen Erstellung der Aufzeichnungen absieht. Dem Stpfl. wird letztlich unterstellt, dass die von ihm erklärten Einkünfte nicht auf der Grundlage eines Fremdvergleichs ermittelt wurden. Nach § 162 Abs. 3 S. 2 AO ist die Finanzbehörde im Fall eines Schätzungsrahmens berechtigt, die festgestellte Bandbreite (insbesondere Preisspanne) zulasten des Stpfl. auszuschöpfen. Diese Regelung stellt eine unmittelbare Reaktion auf BFH v. 17.10.2001, I R 103/00, BStBl II 2004, 171 dar, nach dem die Schätzung sich an dem für den Stpfl. günstigsten Bandbreitenwert zu orientieren hatte (vgl. Rz. 68).
Da die Stammdokumentation nur darstellenden Charakter hat und keine Anhaltspunkte für eine unangemessene Festlegung der Verrechnungspreise enthalten dürfte, scheint die verweigerte Vorlage einer Stammdokumentation oder die fehlerhafte oder nicht zeitgerechte Erstellung derselben regelmäßig nicht geeignet, die Schätzungsbefugnis des § 162 Abs. 3 AO aufzulösen. Allenfalls die Erhebung eines pauschalen Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO oder die Festsetzung von Zwangsgeld nach § 328 AO dürfte in Betracht kommen, wobei die Erzwingung der Abgabe regelmäßig voraussetzt, dass die hierin enthaltenen Angaben nicht bereits bekannt sind und auch nicht anderenorts in Erfahrung gebracht werden können.
Rz. 102
Schließlich enthält § 162 Abs. 4 AO für den Fall einer Pflichtverletzung die Befugnis zur Festsetzung eines Zuschlags.