Rz. 12
Nach § 94 Abs. 1 S. 1 AO kann die eidliche Vernehmung von der Finanzbehörde nur verlangt werden, wenn sie mit Rücksicht auf die Bedeutung der Auskunft oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Auskunft geboten ist. Mindestens zu fordern ist, dass eine Entscheidung der Finanzbehörde auf der Annahme der Richtigkeit der Auskunft beruht bzw. diese beeinflusst hat. Die eidliche Vernehmung kommt damit nicht in Betracht, wenn die Finanzbehörde diese Entscheidung unabhängig von der Drittauskunft, sondern z. B. auf Grundlage einer weiteren Erkenntnisquelle getroffen hat oder treffen möchte. Ohne Bedeutung ist die Auskunft damit, wenn die Finanzbehörde die Auskunft unabhängig von der Vereidigung für falsch halten würde. Die Finanzbehörde entscheidet über das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Weg vorweggenommener Beweiswürdigung. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Ersuchen um eine eidliche Vernehmung ist nur dann rechtswidrig, wenn die behördliche Schlussfolgerung unter keinem Gesichtspunkt möglich erscheint.
Rz. 13
Die Bekräftigung durch einen Eid kann mit Rücksicht auf die Bedeutung der Auskunft verlangt werden, wenn die Auskunft des Dritten eine wesentliche Grundlage für den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens darstellt. Die Bedeutung bezieht sich also auf die Wesentlichkeit der Auskunft für das Besteuerungsverfahren. Ist die Auskunft für dieses ohne Belang, so ist das Vernehmungsersuchen ermessensmissbräuchlich. Die Bedeutung ist danach rein qualitativ in Bezug auf die Sachaufklärung, d. h. die Wahrheitsfindung, zu verstehen. Ein quantitatives Moment i. S. einer Aufkommensbezogenheit spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Rz. 14
Nach § 94 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AO ist die Beeidigung auch zulässig, wenn dadurch eine wahrheitsgemäße Auskunft gesichert werden soll. Dies setzt begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson voraus. Eine Beeidigung ist in diesen Fällen ermessensgerecht, wenn widersprüchliche bzw. unvollständige Auskünfte vorliegen oder Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage bestehen, die unter dem Druck der eidlichen Vernehmung beseitigt oder jedenfalls gemindert werden können.
Rz. 15
Ergibt sich aus der Würdigung des bisherigen Ermittlungsergebnisses, dass eine Auskunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch sein wird, so ist eine eidliche Vernehmung unzulässig. In diesen Fällen wird es regelmäßig an der Sachbedeutung der Auskunft fehlen. Die Finanzbehörde würde letztlich als agent provocateur zur Ableistung eines mit Strafe bewehrten Falscheides handeln.
Rz. 16
Die eidliche Vernehmung ist das allerletzte Mittel zur Wahrheitserforschung und deshalb – obwohl dies der Wortlaut anders als § 95 Abs. 1 S. 2 AO nicht vorgibt – nur anzuwenden, wenn andere geeignete Mittel nicht zur Verfügung stehen, zu keinem Erfolg geführt haben oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern. Kommen sowohl eine vom Beteiligten zu leistende Versicherung an Eides statt als auch die eidliche Vernehmung einer Auskunftsperson in Betracht, so ist zunächst regelmäßig der mitwirkungspflichtige Beteiligte nach § 95 AO heranzuziehen. Die eidliche Vernehmung des Dritten ist subsidiär. Dies folgt schon daraus, dass eine beeidigte Falschaussage die schwereren strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht und deshalb im Regelfall nicht das mildere Mittel zur Sachverhaltsaufklärung darstellt.