Rz. 5

Auskunftspersonen bekunden ihr Wissen über selbst wahrgenommene Tatsachen und sind deshalb unvertretbar. Der Sachverständige ist hingegen eine natürliche Person, die der Finanzbehörde das ihr fehlende Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen vermittelt[1] und durch jede beliebige Person mit entsprechendem Fachwissen ersetzt werden kann. Während die Auskunftsperson ein vergangenes Geschehen aus dem Gedächtnis zurückruft, beurteilt der Sachverständige einen aktuellen Sachverhalt mit dem gegenwärtig verfügbaren Sachverstand. Er ist von der Finanzbehörde rechtlich unabhängig und deshalb auch nicht ihren Weisungen unterworfen.[2] Dies gilt auch für sog. amtliche – d. h. der Finanzverwaltung angehörende – Sachverständige.[3] Sind dem Sachverständigen die seiner Beurteilung zugrunde zu legenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung bekannt, so ist er zugleich Auskunftsperson (sog. sachverständiger Zeuge).[4] Die Gutachtenerstellung kann auch durch Zusammenarbeit mehrerer Einzelpersonen oder durch einen Gutachterausschuss erfolgen.[5]

 

Rz. 6

Der Sachverständige verfügt auf einem bestimmten Gebiet üblicherweise durch eine gesonderte Ausbildung erworbenes Fachwissen oder über besondere Erfahrung. Diese Sachkenntnis vermittelt er der insoweit nicht sachkundigen Behörde im Weg eines Gutachtens.[6] Die Sachverständigenleistung ist Bewertungsleistung. Die Hinzuziehung kommt sowohl zur Feststellung von äußeren und inneren Tatsachen, von allgemeinen Erfahrungssätzen als auch zur Klärung von Schlussfolgerungen, die aus einem allgemeinen Erfahrungssatz für einen konkreten Sachverhalt zu ziehen sind, in Betracht.[7]

 

Rz. 7

Die Prüfung von Rechtsfragen darf nicht auf Sachverständige delegiert werden.[8] Dies ist allein Aufgabe der Finanzbehörde. Ausnahmen gelten entsprechend § 293 ZPO nur für die Feststellung von Gewohnheits- und Satzungsrecht sowie von ausländischem Recht.[9] Da die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO keine der Beweiserhebung zugängliche Tatsache ist, können Schätzungsbestandteile ebenfalls nicht Gegenstand eines Sachverständigengutachtens sein[10], wohl aber Tatsachen zur Eröffnung des Schätzungstatbestands.

 

Rz. 8

Der Sachverständige ist Helfer und Berater der Finanzbehörde im Rahmen der Sachverhaltsermittlung und -würdigung.[11] Zur selbstständigen Ausübung der finanzbehördlichen Ermittlungsbefugnisse ist er nicht berechtigt. Sind Tatsachen festzustellen und ist hierfür eine besondere Sachkunde erforderlich, so kann der Sachverständige von der Finanzbehörde im Rahmen einer Augenscheinseinnahme zugezogen[12] werden. In diesen Fällen darf der Sachverständige fremde Grundstücke und Räume betreten[13] sowie vom Beteiligten oder anderen Personen vorzulegende Wertsachen in Augenschein nehmen.[14]

[1] BFH v. 11.1.1977, VII R 4/74, BStBl II 1977, 310; BVerwG v. 27.6.1974, I C 10/73, BVerwGE 45, 235; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 96 AO Rz. 4; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 96 Rz. 1; zur Abgrenzung von der Auskunftsperson im Einzelnen und von der sog. sachverständigen Auskunftsperson vgl. Volquardsen, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 92 AO Rz. 10f.
[2] Koenig/Haselmann, AO, 4. Aufl. 2021, § 96 Rz. 6.
[3] RFH v. 29.10.1931, III A 1064/30, RStBl 1932, 124.
[4] BFH v. 7.5.1965, VI 128, 129/64, HFR 1965, 487; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 96 Rz. 4.
[5] BFH v. 17.1.1996, XI R 62/95, BFH/NV 1996, 527; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 96 AO Rz. 17.
[7] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 AO Rz. 5; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 96 AO Rz. 4.
[8] BFH v. 8.1.1991, VII R 16-19/89, BFH/NV 1991, 850; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 96 AO Rz. 5; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 96 AO Rz. 4.
[9] Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 26 VwVfG Rz. 27.
[10] BFH v. 19.9.2001, XI B 6/01, BFH/NV 2002, 236 zur Höhe der im Rahmen einer Schätzung ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze.
[11] BFH v. 7.5.1965, VI 128, 129/64, HFR 1965, 487; BFH v. 8.1.1991, VII R 16-19/89, BFH/NV 1991, 850; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 96 AO Rz. 6; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 AO Rz. 16.

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