Rz. 1
§ 99 AO ergänzt § 98 AO und ist weitere Ausführungsnorm zu § 92 S. 2 Nr. 4 AO. Die Vorschrift regelt das Betreten von Grundstücken und Räumen zum Zweck der Einnahme des Augenscheins (Beweismittelvorschrift). Für andere Zwecke als eine Augenscheinseinnahme räumt § 99 AO kein Betretungsrecht ein. Die Norm gewährt auch kein Durchsuchungsrecht. Mit anderen Worten ist vor der geplanten Maßnahme zu klären, ob ein bestimmter Sachverhalt aufgeklärt oder ohne eine konkrete Zielsetzung der Zustand eines Gegenstands untersucht werden soll.
§ 99 AO gilt im gesamten Besteuerungsverfahren und damit auch bei Maßnahmen der Steuerfahndung (BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BStBl II 2009, 839). Im Straf- und Bußgeldverfahren kommt die Vorschrift dagegen nicht zur Anwendung. Besondere Regelungen über Betretungsrechte gelten im Rahmen von Außenprüfungen sowie bei der besonderen Steueraufsicht, der Vollstreckung in Sachen und der Einheitsbewertung. Weitere Spezialvorschriften finden sich in § 146b AO zur Kassennachschau und § 27b Abs. 1 UStG zur USt-Nachschau.
Rz. 2
Mit dem Betretungsrecht der Finanzbehörden korrespondiert eine Duldungspflicht der Betroffenen, d. h. der Gewahrsamsinhaber der Betretungsobjekte und – sofern nicht identisch – der Beteiligten. Betroffene sind alle Personen, die an dem Grundstück usw. entweder Besitzrechte haben, sie tatsächlich nutzen oder eine sonstige tatsächliche Verfügungsbefugnis haben. Mieter, Pächter, Treuhänder, Sicherungsnehmer u. a. müssen deshalb hinnehmen, dass in ihrem unmittelbaren Besitz befindliche Grundstücke zum Zweck der Augenscheinseinnahme auch in den steuerlichen Angelegenheiten des Vermieters, Verpächters sowie Treu- und Sicherungsgebers betreten werden.
Rz. 3
§ 99 AO regelt einen zulässigen Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Eindringen in das befriedete Besitztum stellt für den Betroffenen regelmäßig eine besondere Belastung dar. Deshalb sieht die Vorschrift mehrere Einschränkungen zeitlicher (nur während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeit; vgl. Rz. 13f.), sachlicher (nur soweit für besteuerungsrelevante Feststellungen erforderlich; vgl. Rz. 20) und persönlicher Art (nur Amtsträger und zugezogene Sachverständige; vgl. Rz. 23) vor. Das Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers ist nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erlaubt (vgl. Rz. 5ff.). Außerdem wird die Finanzbehörde verpflichtet, die betroffenen Personen vorher zu benachrichtigen (vgl. Rz. 15ff.).