1 Grundlagen

 

Rz. 1

Im 6. Teil der AO ist das Vollstreckungsrecht für das steuerrechtliche Verwaltungsverfahren geregelt. Zur Geltung des Vollstreckungsrechts über diesen Bereich hinaus vgl. Dißars, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 249 AO Rz. 4. §§ 249 bis 346 AO sind jedoch nicht als abschließend für das steuerrechtliche Vollstreckungsrecht anzusehen, sondern vielmehr beinhalten die Vorschriften des 6. Teils eine Vielzahl von Verweisungen auf die allgemeinen Regelungen der ZPO und des ZVG. Für ein umfassendes Verständnis des Vollstreckungsverfahrens nach der AO ist deshalb die Kenntnis der einschlägigen Vorschriften der ZPO, des ZVG, aber auch des BGB von unabdingbarer Bedeutung. Die Vollstreckungsarten und die Durchführung der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen, zu denen die Vollstreckungsbehörden berechtigt sind, sind zum großen Teil den Vorschriften der ZPO entnommen, aber dann den spezifischen Bedingungen des steuerlichen Verwaltungszwangsverfahrens angepasst. Es handelt sich aber um eigenständige gesetzliche Regelungen.[1] In vielen Fällen wird jedoch auch direkt auf gesetzliche Bestimmungen der ZPO[2] oder des ZVG[3] verwiesen.[4] Diese Nähe zur ZPO besteht schon seit dem Inkrafttreten der RAO im Jahr 1919.[5]

 

Rz. 2

Speziell für das Vollstreckungsverfahren hat die Verwaltung besondere Verwaltungsanweisungen erlassen, die Einzelheiten des Verfahrens regeln und die Verwaltung binden. Ein durch ein Vollstreckungsverfahren Betroffener kann sich darauf berufen, dass sich die Verwaltung gemäß der von ihr selbst geschaffenen Anweisungen verhält.[6] Diese allgemeinen Verwaltungsvorschriften, deren Rechtsgrundlage sich in Art. 108 Abs. 7 GG findet, sind die Vollstreckungsanweisung v. 13.3.1980[7] und die Vollziehungsanweisung v. 29.4.1980.[8] Erstere regelt Einzelheiten der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens, letztere die Verhaltensweise der Vollziehungsbeamten im Vollstreckungsverfahren.[9]

[1] Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, vor § 249 Rz. 4.
[2] Z. B. §§ 262266, 295, 319, 321 AO.
[3] vgl. insbesondere in § 322 AO.
[4] Klein/Werth, AO, 17. Aufl. 2023, vor § 249 Rz. 2.
[5] Hummel, in HHSp, AO/FGO, vor § 249-346 AO Rz. 55ff.
[6] Zum Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung allgemein Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 93ff.
[7] VollstrA, BStBl I 1980, 112, zuletzt geändert durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift v. 23.10.2017, BStBl I 2017, 1374.
[8] VollzA, BStBl I 1980, 194, zuletzt geändert durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift v. 23.10.2017, BStBl I 2017, 1374.
[9] Hummel, in HHSp, AO/FGO, vor § 249-346 AO Rz. 65ff.

2 Struktur des 6. Teils des AO

 

Rz. 3

Der Aufbau des 6. Teils der AO lässt sich wie folgt darstellen:

 

Rz. 4

Die allgemeinen Regelungen der §§ 249258 AO gelten für alle Ansprüche der Verwaltung, die im Vollstreckungsweg durchgesetzt werden sollen. Das Verwaltungsvollstreckungsrecht nach der AO unterscheidet weiterhin danach, ob wegen einer Geldforderung oder einer sonstigen Forderung der Verwaltung vollstreckt werden soll. Wird wegen einer Geldleistung vollstreckt, so ist zu unterscheiden, ob die Vollstreckung in bewegliches Vermögen[1] oder in das unbewegliche Vermögen[2] erfolgt. §§ 259280 AO finden dabei auf beide Arten der Vollstreckung wegen einer Geldforderung Anwendung. Hinsichtlich der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen ist schließlich zu unterscheiden in die Vollstreckung in Sachen[3] und in die Vollstreckung in Forderungen und andere Vermögenswerte.[4] Wieder beziehen sich die allgemeinen Regelungen in §§ 281284 AO auf beide möglichen Vollstreckungsarten. Die Vollstreckung wegen anderer Forderungen als Geldforderungen der Verwaltung ist in den §§ 328335 AO geregelt. Einzelne Normen beziehen sich hierbei auf das Zwangsgeld[5], die Ersatzvornahme[6] und den unmittelbaren Zwang.[7]

3 Voraussetzungen der Vollstreckung

 

Rz. 5

Will ein Privatgläubiger die Durchsetzung eines Anspruchs gegen einen Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung erzwingen, müssen drei Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung zwingend gegeben sein: Titel, Vollstreckungsklausel und Zustellung des Titels.[1] Im Gegensatz hierzu benötigen die Finanzbehörden zur Vollstreckung ihrer Ansprüche grundsätzlich keine obsiegenden Urteile eines Gerichts, sondern es genügt ein vollstreckbarer Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt kann – wie im steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren zumeist – ein Steuerbescheid, aber auch ein sonstiger Verwaltungsakt etwa in Form eines Auskunftsersuchens nach § 93 AO oder der Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 AO sein.

 

Rz. 6

Die Tatsache, dass die Verwaltung damit in die Lage versetzt wird, sich zunächst selbst eine Vollstreckungsgrundlage zu verschaffen, und diese dann auch noch selbst durchsetzen kann, führt dazu, dass – anders als im Vollstreckungsrecht nach der ZPO – eine neutrale Instanz fehlt, die zunächst die Grundlage für die Vollstreckung schafft.[2] Diese Tatsache lässt sich vor allem angesichts des Massenverfahrens im Steuerrecht aus Prakt...

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