Prof. Dr. Alexander Kratzsch
1 Einführung
Rz. 1
Der zweite Abschnitt des Ersten Teils der AO mit den §§ 3–15 AO trägt die Überschrift "Steuerliche Begriffsbestimmungen". Er enthält allerdings nur einen Teil der in der AO zu findenden Definitionen. Vor allem im Steuerschuldrecht sind zahlreiche weitere Begriffsbestimmungen zu finden, angefangen vom Begriff des Steuerpflichtigen über die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, den Gesamtschuldner, die Definitionen zu den steuerbegünstigten Zwecken, die Beteiligten bis hin zum Begriff des Verwaltungsakts. Auch die anderen Teile der AO enthalten offene oder mit Klammerzusatz versehene Begriffsbestimmungen.
Rz. 2
Unter den Begriffsbestimmungen der §§ 3–15 AO betreffen zunächst die §§ 3–7 AO grundlegende Begriffe wie den der Steuer, des Gesetzes und des Ermessens sowie Begriffe zur Verwaltung mit der Behörde und dem Amtsträger (§ 7). Daran schließen sich in §§ 8–12 AO innerlich zusammenhängende Begriffe an, die vor allem für die (unbeschränkte) Steuerpflicht und die Zuständigkeiten für die Besteuerung bedeutsam sind. Bedingt können hierzu noch die in §§ 13, 14 AO umschriebenen Begriffe des ständigen Vertreters und des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gezählt werden. Der Begriff der Angehörigen ist ein Fremdkörper, der mangels eines besseren Platzes in der AO an dieser Stelle untergebracht worden ist.
Zu beachten ist, dass einige der Begriffe in den DBA und im OECD-Musterabkommen abweichend umschrieben sind. Für den Bereich der DBA gelten dann die dort zu findenden Definitionen und nicht die der AO.
2 Abgrenzung der Steuerpflicht
Rz. 3
Die in den §§ 8–14 AO umschriebenen Begriffe sind vor allem für das Vorliegen einer Steuerpflicht nach den einzelnen Steuergesetzen von Bedeutung. Die Begriffe dienen insbesondere für die Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht einiger Steuerarten. Die unbeschränkte ESt-Pflicht und die unbeschränkte VSt-Pflicht natürlicher Personen erfordern einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Der Wohnsitz ist auch gem. § 2 Abs. 6 AStG maßgebend. Auch die ErbSt-Pflicht natürlicher Personen knüpft an Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an. Die unbeschränkte KSt-Pflicht, die unbeschränkte VSt-Pflicht der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen und die ErbSt-Pflicht der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen setzen die Geschäftsleitung oder den Sitz im Inland voraus.
Rz. 4
Der Begriff der Betriebsstätte ist von Bedeutung für die GewSt-Pflicht und die beschränkte ESt-Pflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG, der des ständigen Vertreters ebenfalls für die beschränkte ESt-Pflicht. Dagegen ist der Begriff der Betriebsstätte im Abkommensrecht nach Art. 5 OECD-MA eigenständig definiert (sog. autonome DBA-Definition); für seine Auslegung ist daher grundsätzlich nicht auf innerstaatliches Recht zurückzugreifen.
Der Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs und seine Abgrenzung von der Vermögensverwaltung sind wichtig für die GewSt-Pflicht und die KSt-Pflicht für sonst steuerbefreite Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen.
3 Anknüpfungspunkt für Zuständigkeiten
Rz. 5
Die in den Begriffsbestimmungen festgehaltenen Merkmale sind häufig auch für die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden maßgebend. Über diese Zuständigkeiten haben sie wiederum Auswirkungen auf das Aufkommen der Steuergläubiger. Die örtliche Zuständigkeit für die Steuern vom Einkommen und Vermögen natürlicher Personen richtet sich vorrangig nach deren Wohnsitz und beim Fehlen eines inländischen Wohnsitzes nach dem gewöhnlichen Aufenthalt. Nur beim Fehlen beider richtet sie sich nach anderen Merkmalen. Für die Steuern vom Einkommen (einschl. LSt) bei Bauleistungen ist, wenn der Unternehmer seinen Wohnsitz oder das Unternehmen seine Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs der AO hat, das für die USt aus § 21 AO folgende FA zuständig. An die für die ESt oder USt geltende Zuständigkeitsregelung hängt sich diejenige für die ErbSt an. Das Kindergeld knüpft in § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ebenfalls daran an, ob der Berechtigte im Inland einen Wohnsitz oder seinen ge...