Rz. 60

Ein Urteil nach § 100 Abs. 3 FGO ist nur möglich bei einer zulässigen Anfechtungsklage[1]. Es müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung alle Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage gegeben sein. Insbesondere muss der Kläger, obwohl eine Entscheidung in der Sache nicht ergeht, dargetan haben, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und er dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Das Gericht muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass, die behauptete Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts unterstellt, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Es entfällt nur die Prüfung der Rechtswidrigkeit. Welcher Art der angefochtene Verwaltungsakt ist, spielt keine Rolle. Die Kassation nach § 100 Abs. 3 ist auch bei Abänderungsklagen nach § 100 Abs. 2 FGO gegen Geldverwaltungsakte möglich. Teilbare Verwaltungsakte (s. Rz. 14f.) können teilweise nach § 100 Abs. 3 FGO aufgehoben werden, "soweit" noch erhebliche Ermittlungen erforderlich sind.

Das Gericht hat den Beteiligten grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren, wenn es nach § 100 Abs. 3 FGO entscheiden will[2]. Im zweiten Rechtsgang ist § 100 Abs. 3 FGO nicht anwendbar[3].

[1] Zur Anwendbarkeit von § 100 Abs. 3 FGO bei einer Verpflichtungsklage s. § 101 FGO Rz. 25.
[2] BFH v. 30.7.2004, IV B 143–144/02, BFH/NV 2005, 359; a. A. Lange, in HHSp, AO/FGO, § 100 FGO Rz. 122, und diesem zustimmend Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 FGO Rz. 37 sowie Schmidt-Troje, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 100 FGO Rz. 84.1.

2.5.3.1 Keine Schätzung, Abs. 3 S. 2

 

Rz. 61

Eine Kassation ohne Sachentscheidung ist nicht möglich, wenn die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind, weil der Stpfl. seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist[1]. Zwar ist in diesen Fällen, wenn der Kläger erstmals im Prozess zur Sache vorträgt, regelmäßig erheblicher Ermittlungsaufwand zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich, jedoch wäre es unter Berücksichtigung der Belange des Beklagten nicht sachdienlich, den Verwaltungsakt aufzuheben, ohne in der Sache zu entscheiden. Es ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass der Stpfl., der im ersten Verwaltungsverfahren seinen Mitwirkungspflichten in keiner Weise nachgekommen ist, sich im dann erforderlich werdenden weiteren Verwaltungsverfahren kooperativer verhalten wird[2]. Verletzt der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren seine Mitwirkungspflicht, kann das Gericht nach §§ 65 Abs. 2, 79b Abs. 3 FGO mit Ausschlussfristen reagieren. Das Gericht hat zudem in solchen Fällen die Möglichkeit, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis[3] Gebrauch zu machen[4].

 

Rz. 62

Ob der Stpfl. seiner Erklärungspflicht nachgekommen ist, ist gem. §§ 149ff. AO zu beurteilen. Hat der Stpfl. seine Erklärungspflicht im Verwaltungsverfahren oder außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren verletzt und wurde deshalb geschätzt, kann nicht nach § 100 Abs. 3 FGO verfahren werden. Die Einreichung der Steuererklärung im Prozess ändert daran nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nichts[5]. Ob eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durchgeführt wurde, richtet sich nach § 162 AO. Auch bei einer Teilschätzung seitens der Finanzbehörde scheidet die Kassation ohne Sachentscheidung aus[6]. Ist der Stpfl. im Verwaltungsverfahren seiner Erklärungspflicht jedoch nachgekommen und wurde dennoch geschätzt, kann das Gericht nach § 100 Abs. 3 FGO verfahren.

[2] BFH v. 29.3.1995, II R 13/94, BStBl II 1995, 542; kritisch hierzu Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 FGO Rz. 40.
[5] V. Groll, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 100 Rz. 45.
[6] V. Groll, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 100 Rz. 45.

2.5.3.2 Sechsmonatsfrist, Abs. 3 S. 5

 

Rz. 63

Eine Entscheidung nach § 100 Abs. 3 FGO ist ebenfalls dann nicht möglich, wenn seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht mehr als sechs Monate vergangen sind[1]. Zur Fristberechnung s. Erl. zu § 54 FGO. Mit den Akten sind die den Streitfall betreffenden Akten des Beklagten gemeint[2]. Da häufig Unklarheit über den Umfang der vorzulegenden Akten besteht und die Gerichte weitere Akten vom Beklagten nachfordern müssen, beginnt die Frist erst zu laufen, wenn diese Akten vollständig bei Gericht eingegangen sind[3]. Nach § 71 Abs. 2 FGO hat die Finanzbehörde die Akten nach Empfang der Klageschrift, spätestens nach Erhalt der Klagebegründung[4] an das Gericht zu übersenden. Damit gehen die Akten in einem sehr frühen Prozessstadium bei Gericht ein. Will das Gericht nach § 100 Abs. 3 FGO verfahren, so hat es praktisch innerhalb dieses Zeitraums ein gründliches Aktenstudium und eine summarische Rechtsprüfung vorzunehmen.

[2] S. dazu § 71 FGO Rz. 13.
[3] Ebenso v. Groll, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 100 FGO Rz. 48 i. V. m. § 45 FGO Rz. 28.
[4] Vgl. § 71 FGO Rz. 11.

2.5.3.3 Erforderlichkeit weiterer Sachaufklärung

 

Rz. 64

Das Gericht kann neben anderen Voraussetzungen dann nach § 100 Abs. 3 FGO verfahren, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält. ...

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