2.2.2.1 Rechtsfrage

 

Rz. 6

Der erkennende Senat (Rz. 1) muss die Absicht haben, in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des anderen Senats oder des GrS (Rz. 3) abzuweichen. Eine Rechtsfrage i. d. S. ist ein abstrakter Rechtssatz.[1] Die Rechtsfrage muss sich demgemäß nicht aus demselben Gesetz ergeben. Ausreichend ist, dass sich die strittige Rechtsfrage bei den verschiedenen Vorschriften in gleicher Weise stellt.[2]

2.2.2.2 Abweichung

 

Rz. 7

Eine Abweichung i. d. S. liegt nur vor, wenn sich hierdurch für die Entscheidung ein anderes Ergebnis ergibt.[1] Eine abweichende Begründung bei gleichem Ergebnis bewirkt keine Vorlagepflicht. Eine Abweichung liegt auch nicht vor, wenn die frühere Entscheidung kumulativ mehrfach begründet ist und die spätere Entscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung zu nur einer der Begründungen beruht.[2]

 

Rz. 8

Eine Abweichung in einer Rechtsfrage i. d. S. liegt nicht vor, wenn der erkennende Senat entgegen dem anderen Senat die Verfassungsmäßigkeit der der Rechtsfrage zugrunde liegenden Rechtsnorm verneint[3] oder bejaht.[4] In diesem Fall ist nicht der GrS, sondern nach Art. 100 GG das BVerfG anzurufen.[5] Bei fraglicher Vereinbarkeit einer Norm des einfachen Rechts mit dem EU-Recht ist gem. § 267 AEUV der EuGH anzurufen.[6]

[1] Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 11 VwGO Rz. 4 m. w. N.
[5] BVerfG v. 19.2.1957, 1 BvL 13/54, BVerfGE 98, 386; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 11 VwGO Rz. 6; Teller, in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, 11 FGO Rz. 19.
[6] Teller, in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 11 FGO Rz. 19.

2.2.2.3 Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage

 

Rz. 9

Die Rechtsfragen in der Entscheidung, von der abgewichen werden soll, und in der zu entscheidenden Sache müssen identisch sein.[1] Die Rechtsfrage muss nicht ausdrücklich behandelt und entschieden werden, aber ein unerlässliches Glied in der Gedankenkette der Entscheidung sein.[2]

 

Rz. 10

Die Vorlagepflicht besteht nur, wenn die abweichende Rechtsauffassung des anderen Senats, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll (Rz. 3), für dessen Entscheidung erheblich gewesen ist.[3] Eine bestimmte Rechtsauffassung ist entscheidungserheblich, wenn sie für die Entscheidung tragend ist.[4] Hinweise auf eine Rechtsauffassung, die die Entscheidung nicht trägt (obiter dictus), begründen keine Vorlagepflicht.[5]

 

Rz. 11

Die abweichende Rechtsauffassung muss auch für die zu treffende Entscheidung erheblich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Entscheidung des anderen Senats zu nicht mehr anwendbarem Recht ergangen ist.[6]

Die Vorlage wird nicht dadurch unzulässig, dass der erkennende Senat seine Entscheidung auch mit einer Rechtsauffassung erreichen könnte, die nicht in Widerspruch zur Rechtsauffassung des anderen Senats steht.[7] Es ist jedem Senat selbst überlassen, die seine Entscheidung begründenden Rechtssätze zu bestimmen.[8]

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