4.2.1.1 Allgemeine Begriffsbestimmung
Rz. 9
Nach der vom BFH stets verwandten Formel hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn in dem zuzulassenden Revisionsverfahren eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Beantwortung der Rechtsfrage muss aus Gründen der Rechtssicherheit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegen. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall, d. h. im künftigen Revisionsverfahren, voraussichtlich klärungsfähig ist.
Die aufgeworfene Rechtsfrage darf nicht nur von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängen, sondern darüber hinaus Bedeutung haben und für die Zukunft richtungsweisend sein. Daran fehlt es, wenn es nicht um die Auslegung eines abstrakten Rechtssatzes geht, sondern lediglich um die Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter die tatbestandlichen Voraussetzungen eines abstrakten Rechtssatzes; ebenso z. B. bei Erlassfragen. Denn die Frage, ob hierbei Ermessensfehler vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist deshalb allgemeinen Aussagen nicht zugänglich. Entsprechendes gilt für die Bemessung eines Verspätungszuschlags.
An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen oder der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen.
Diese schon vor der Neufassung des Abs. 2 ab 2001 (Rz. 1) entwickelte Begriffsbestimmung gilt nach wie vor. Grundsätzliche Bedeutung setzt somit voraus:
- eine im allgemeinen Interesse liegende Rechtsfrage,
- die klärungsbedürftig und
- klärungsfähig (entscheidungserheblich) ist.
Gegen diese Definition wird gelegentlich eingewandt, sie sei zu wenig konturiert und führe in der Praxis zu willkürlichen Zulassungen bzw. Ablehnungen des Zugangs zum BFH. Diese Auffassung wurde vom BVerfG zu Recht zurückgewiesen. Es handelt sich keinesfalls um eine "vage Generalklausel", die die Entscheidung in das Belieben des Gerichts stellt und ein freies Zulassungs- bzw. Annahmeermessen einräumt. Das Gesetz verwendet vielmehr einen überkommenen, hinreichend eingrenzbaren und durch die Rspr. in verschiedenen Gerichtszweigen ausgefüllten Rechtsbegriff. Die Voraussetzungen dieser in der Rspr. entwickelten Definition müssen im Einzelnen vorliegen und vom FG und BFH geprüft bzw. zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden.
Aus Kreisen innerhalb des BFH verlautet allerdings, dass der BFH – wie auch manche FG (Rz. 2) – den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gelegentlich weniger streng anwendet, um einer Sache im Interesse einer gerechten Entscheidung zur Zulassung zu verhelfen. Da zulassende Beschlüsse i. d. R. nicht begründet werden, ist dies aus der veröffentlichten Rspr. jedoch nicht ersichtlich.
Nach der Gesetzesfassung bis 2000 (Rz. 1) wurde grundsätzliche Bedeutung auch beim Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung und bei Abweichung (Divergenz) von Entscheidungen des EuGH und der anderen obersten Bundesgerichte (BVerwG, BGH, BAG, BSG) angenommen. Nach wie vor handelt es sich hierbei um Unterfälle grundsätzlicher Bedeutung, die aber nach der Neufassung ab 2001 (Rz. 1) unter die Spezialregelung in Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 (Rechtsfortbildung) fallen bzw. unter den Zulassungsgrund der Sicherung der Rechtsprechungseinheit (Alt. 2) einzuordnen sind (Rz. 26).
Rz. 10
Kein Zulassungsgrund i. S. v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist dagegen die Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit des Urteils des FG umfassend zu überprüfen. Mit Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils kann die Revisionszulassung daher nicht erreicht werden. Z. B. betrifft der Einwand der fehlerhaften Auslegung eines Vertrags einen materiellen Fehler, der die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
Ebenso eröffnen Einwände gegen die tatsächliche Würdigung des FG nicht die Revision, z. B. gegen die Würdigung, dass ein Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß sei, dass der Wohnsitz beibehalten wurde oder dass eine kürzere Nutzungsdauer anzusetzen sei.
Der Gesichtspunkt der materiellen Fehlerhaftigkeit kann ausnahmsweise nur unter dem seit 2001 geltenden neuen Zulassungsgrund des Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 (Sicherung der Rechtsprechungseinheit) Bedeutung gewinnen. Das setzt aber voraus, dass der Rechtsfehler so gravierend ist, dass er geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rspr. und in die Steuergerechtigkeit zu beschädigen, wenn er nicht im allgemeinen Interesse vom Revisionsgericht korrigiert wird (sog. qualifizierter ...