Rz. 12
Nach § 38 Abs. 2a S. 1 FGO ist in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG (Kindergeld) das FG örtlich zuständig, in dessen (Gerichts-)Bezirk der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz oder hilfsweise seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzprinzip). Eine plausible Wohnsitzangabe des Klägers ist vor dem Hintergrund der durch den Gesetzgeber beabsichtigten Gewährung bürgerfreundlichen und ortsnahen Rechtsschutzes ausreichend. Nicht erforderlich ist daher, dass der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt nachgewiesen wird. Nach dem Grundsatz der perpetuatio fori nach § 17 Abs. 1 S. 1 GVG hat ein sachlich unzuständiges Gericht den Rechtsstreit in den Kindergeldfällen des § 38 Abs. 2a FGO an das FG zu verweisen, das im Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem unzuständigen Gericht örtlich zuständig war und nicht das FG, das aufgrund eines Umzugs des Klägers nach Klageerhebung entsprechend § 38 Abs. 2a FGO nunmehr zuständig geworden wäre. Hat der Kläger im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt, findet nach § 38 Abs. 2a S. 2 FGO wieder die Grundsatzregelung des § 38 Abs. 1 FGO Anwendung (Sitz der verklagten Familienkasse).
Rz. 12a
Die Sonderregelung des § 38 Abs. 2a FGO wurde durch das Gesetz zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 20.4.2013 in den § 38 FGO eingefügt. Hierdurch reagierte der Gesetzgeber auf die Umstrukturierung der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit, durch die die Zahl der Familienkassen erheblich reduziert wurde. Durch das Abstellen auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und nicht wie bisher auf den Sitz der Beklagten, also den Familienkassen, sollten Belastungsverschiebungen bei den FG und lange Anfahrtswege der rechtsuchenden Bürger vermieden werden. Der mit der Einführung der Vorschrift verfolgte Sinn und Zweck, den gerichtlichen Rechtsschutz bürgernah und effektiv zu gewährleisten und Belastungsverschiebungen bei den FG entgegenzuwirken, spricht für eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs der Regelung des § 38 Abs. 2a FGO auch unter Einbeziehung des Erhebungsverfahrens.
Rz. 12b
Macht die Familienkasse einen Rückforderungsanspruch auf Kindergeld im Haftungswege gegen mehrere Erben des Kindergeldberechtigten geltend und haben diese ihren jeweiligen Wohnsitz in unterschiedlichen FG-Bezirken, sodass für die Klagen der Erben gegen die Haftungsbescheide gem. § 38 Abs. 2a FGO unterschiedliche Gerichte zuständig sind, kann der BFH auf Antrag unter entsprechender Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO ein Gericht als das zuständige FG bestimmen. Denn die Sonderregelung des § 38 Abs. 2a FGO kann nicht zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Aufspaltung der Zuständigkeit für den an sich einheitlich zu entscheidenden Rechtsstreit führen. Zwar ließe sich für jeden Erben, der gegen den Haftungsbescheid Klage erhebt, ein gem. § 38 Abs. 2a FGO örtlich zuständiges FG bestimmen. Dass damit aber in der Konsequenz möglicherweise mehrere FG zuständig werden und aufgerufen sind, über den identischen Lebenssachverhalt zu entscheiden, sei vom Sinn und Zweck dieser Regelung nicht gedeckt. Auch ist es unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht sinnvoll, wenn zwei FG mit der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsanspruchs befasst werden, zumal dies die Gefahr divergierender Entscheidungen gegenüber den Erben birgt, die als Gesamtrechtsnachfolger nach § 2058 BGB gesamtschuldnerisch haften und somit gemäß § 426 BGB einander zum Ausgleich verpflichtet sind.
Rz. 13
Klagt eine Körperschaft als unterhaltsgewährende Stelle auf Auszahlung/Abzweigung von Kindergeld gegen eine Familienkasse, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach einer Auffassung unter analoger Anwendung des § 38 Abs. 2a S. 1 FGO nach dem Sitz der klagenden Körperschaft. Nach anderer vorzugswürdigerer Auffassung ist in solchen Fallkonstellationen auf die Grundsatzregelung des § 38 Abs. 1 FGO zurückzugreifen ist (Sitz der verklagen Familienkasse).
Denn der Wille des Gesetzgebers, in den Kindergeldfällen weiterhin einen bürgernahen Rechtsschutz zu gewährleisten, kann nicht ohne Weiteres auf juristische Personen übertragen werden, die in Kindergeldangelegenheiten häufig in einer Vielzahl von Fällen tätig werden, entsprechend professionell organisiert sind und zumeist ohnehin überregional tätig sind.