Rz. 12
Haben sich mehrere FG, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, rechtskräftig (z. B. durch Beschluss nach § 70 Abs. 1 FGO i. V. m. § 17a Abs. 1 GVG oder durch Zwischenurteil nach § 97 FGO) für unzuständig erklärt (sog. negativer Kompetenzkonflikt), kann gem. § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO eine Entscheidung des BFH über das zuständige FG herbeigeführt werden. Eine Anrufung des BFH kommt insbesondere in Betracht, wenn bei zwei unterschiedlichen FG jeweils eine Klage zum identischen Streitgegenstand angebracht wird und beide FG sich gem. § 70 S. 1 FGO i. V. m. § 17a Abs. 2 GVG für unzuständig erklären und den Rechtsstreit jeweils an das andere FG verweisen oder das angerufene FG den Rechtsstreit an ein anderes FG verweist, welches die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses verneint und die Übernahme verweigert bzw. den Rechtsstreit zurück- oder weiterverweist. In diesen Fällen wird der BFH regelmäßig das FG für zuständig erklären, an welches der Rechtsstreit zuerst verwiesen wurde.
Rz. 13
Ist tatsächlich keines der sich für unzuständig erklärenden FG zuständig, kann eine Verweisung an ein anderes Gericht aufgrund des Wortlauts des § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO eigentlich nicht erreicht werden. Nach umstrittener Auffassung soll der BFH aber dennoch im Interesse eines lückenlosen Rechtsschutzes und der Prozessökonomie die Sache durch Verweisungsbeschluss an das tatsächlich örtlich zuständige FG verweisen.
Ebenso wie bei § 39 Abs. 1 Nr. 3 FGO schließt eine bereits ergangene rechtskräftige Sachentscheidung die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO aus.
Rz. 14
Einen gerichtsinternen Streit darüber, welcher Senat des FG nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständig ist, entscheidet das Präsidium des FG und nicht der BFH. Soweit aber ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Senaten eines FG besteht, deren Zuständigkeiten durch Gesetz geregelt sind, könnte eine Zuständigkeitsbestimmung durch den BFH in Betracht kommen. In der Praxis kommt eine solche Zuständigkeitsbestimmung insbesondere bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Senat, bei dem gem. § 5 Abs. 2 S. 2 FGO Zoll-, Verbrauchsteuer- und Finanzmonopole zusammengefasst sind, und einem anderen Senat desselben FG in entsprechender Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO in Betracht.
Rz. 15
Die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige, die sich jeweils rechtskräftig (z. B. durch Beschluss nach § 70 Abs. 1 FGO i. V. m. § 17a Abs. 1 GVG oder durch Zwischenurteil nach § 97 FGO) für unzuständig erklärt haben, entsprechend anzuwenden, wenn ein FG beteiligt ist und der BFH als oberstes Bundesgericht zuerst angerufen wird. Die Vorschrift ist zwar auf den Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige weder unmittelbar anwendbar, noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber – im Einklage mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes – in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, dass einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angerufen wird. Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der infrage kommenden Gericht bereit ist, die Sache zu bearbeiten.