3.3.1.3.1 Grundsatz: Adressatentheorie
Rz. 79
Neben der Darlegung der objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts muss aufgrund des Individualrechtsschutzes (Rz. 62) hinzukommen, dass der angefochtene Verwaltungsakt auch gerade den Kläger subjektiv in seinen Rechten verletzt. In seinen eigenen Rechten ist der Kläger verletzt, wenn ein dem Kläger zustehendes Recht – insbesondere die Freiheitsgrundrechte aus Art. 2, 12, 14 GG und das Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 GG – verletzt wird (zum Ausschluss von Popularklagen s. Rz. 63). Für das Steuerrecht bestehen insoweit keine besonderen Schwierigkeiten, weil jede wie auch immer geartete steuerrechtliche Belastung als staatlicher Eingriff mit einer dagegen gerichteten Rechtsschutzmöglichkeit versehen sein muss. Die subjektive Rechtsverletzung muss sich dabei aber grundsätzlich aus der Steuerfestsetzung selbst und damit aus dem Tenor des angefochtenen Verwaltungsakts ergeben (Rz. 75).
Rz. 80
Nach der sog. Adressatentheorie kann sich ein Kläger daher auf eine Verletzung eigener Rechte stets berufen, wenn es sich um die Anfechtungsklage des Inhaltsadressaten eines belastenden und rechtswidrigen Verwaltungsakts handelt, d. h. desjenigen, gegen den der belastende und rechtswidrige Verwaltungsakt ergangen ist oder der von ihm betroffen ist. Derjenige, dem der belastende Verwaltungsakt bekannt gegeben wird, ist aber nicht zwangsläufig zugleich der Inhaltsadressat. Folglich hat ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe daher kein eigenes Klagerecht gegen einen gegen seinen Mandanten gerichteten Verwaltungsakt. Eine eigene Klagebefugnis von gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertretern (Bevollmächtigten) besteht entsprechend der Adressatentheorie nur dann, wenn sie in ihrer Person zu Unrecht für die angeblichen steuerlichen Pflichten des Vertretenen in Anspruch genommen worden und damit zum Betroffenen eines belastenden Verwaltungsakts geworden sind.
3.3.1.3.2 Mehrheit von betroffenen Personen
Rz. 81
Sind mehrere Personen als Inhaltsadressaten von einem Verwaltungsakt betroffen, kann grundsätzlich jeder Inhaltsadressat selbständig klagebefugt sein. Dies gilt insbesondere auch im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten. Denn der aufgrund der Zusammenveranlagung erlassene Einkommensteuerbescheid ist ein zusammengefasster Steuerbescheid i. S. des § 155 Abs. 3 AO, der sich gegen jeden der beiden Ehegatten als Gesamtschuldner richtet. Hiergegen kann sich jeder der Ehegatten mit verschiedenen Gründen wenden, gleichviel, wem die Einkünfte zugerechnet werden. Dementsprechend können sich im Einspruchs- oder Klageverfahren unterschiedliche Steuerfestsetzungen für die Ehegatten ergeben. Dem klagenden Ehegatten kann die Klagebefugnis und das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis auch nicht allein deswegen abgesprochen werden, weil die festgesetzte Steuer schon entrichtet ist und ein Aufteilungsbesheid gem. § 269 Abs. 2 S. 2 AO nicht mehr beantragt werden kann. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt insoweit bereits dann vor, wenn ein rechtlicher Vorteil in Gestalt eines Steuererstattungsanspruchs für den klagenden Ehegatten nicht von vornherein und nach jeder denkbaren Betrachtungsweise zu verneinen ist. Die Auffassung, der klagende Ehegatte könne einen solchen Vorteil nicht erlangen, weil seinem Erstattungsanspruch die bestandskräftige ESt-Festsetzung seines Ehepartners, die der klagende Ehegatte als Gesamtschuldner nach § 44 Abs. 1 AO mit schulde, entgegenstehe, überspanne die an das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis zu stellenden prozessualen Anforderungen, indem sie Umstände, die erst im Rahmen der Steuererhebung Bedeutung erlangen können, in unzulässiger Weise auf die Ebene des Steuerfestsetzungsverfahrens verlagere.
Zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehegatten können auch dadurch beschwert sein, dass das FA die Einkünfte abweichend von der Steuererklärung auf die Ehegatten aufgeteilt hat, ohne dass sich hierdurch die Gesamtsteuerschuld ändert. Denn die Klagebefugnis des Ehegatten, dem nach seiner Behauptung das FA zu hohe Einkünfte zugerechnet hat, folgt daraus, dass bei einer Aufteilung der rückständigen Steuern nach §§ 368, 270 AO grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen maßgebend sind, die der Steuerfestsetzung bei der Zusammenveranlagung zugrunde gelegt worden sind. Insoweit entfällt die Klagebefugnis allerdings, sobald ein Antrag auf Aufteilung wegen vollständiger Tilgung der rückständigen Steuer nicht mehr zulässig ist. Die Klagebefugnis fehlt daneben insbesondere, wenn ein in glaubensverschiedener Ehe lebender Ehemann einen gegen seine einer steuerberechtigten Kirche angehörende Ehefrau ergangenen Kirchensteuerbescheid angreift oder den Erlass der gegenüber seiner Ehefrau festgesetzten Kirchensteuer verlangt.
Rz. 82
Im Fall der einheitlichen und gesonderten Feststellung von B...