Rz. 72
§ 52a Abs. 6 FGO soll den Vorgaben des BVerfG Rechnung tragen, wonach der Zugang zu den Gerichten durch Anforderungen des formellen Rechts, wie etwa Formatvorgaben, nicht in unverhältnismäßiger Weise erschwert werden darf. Zudem soll die Regelung das Vertrauen des Nutzers stärken, indem sie unter den dort genannten Voraussetzungen ein elektronisches Dokument als fristwahrend eingegangen gelten lässt, obwohl sich der Absender über die erforderlichen technischen Rahmenbedingungen hätte informieren können und die Fristversäumung damit grundsätzlich schuldhaft gewesen wäre.
3.6.1 Unverzügliche Mitteilung an den Absender bei fehlender Bearbeitbarkeit (§ 52a Abs. 6 S. 1 FGO)
Rz. 73
§ 52a Abs. 6 S. 1 FGO statuiert die Pflicht des Gerichts, dem Absender unverzüglich mitzuteilen, falls ein elektronisches Dokument zur Bearbeitung nicht geeignet ist. Aus der Wortlautanknüpfung an § 52a Abs. 2 S. 1 FGO ergibt sich, dass ein elektronisches Dokument dann nicht zur Bearbeitung geeignet ist, wenn es die zwingenden technischen Rahmenbedingungen/Anforderungen der ERVV und der ERVB 2022 bzw. der 2. ERVB 2022, die für die Bearbeitung, nicht aber für die Übermittlung vorgesehen sind, nicht erfüllt. Der Hinweis auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen wurde mit Wirkung ab 1.1.2022 gestrichen, um klarzustellen, dass ein Dokument nicht aus rein formalen Gründen zurückgewiesen werden darf, sondern dass es auf die konkrete Eignung zur Bearbeitung des elektronischen Dokuments ankommt.
Rz. 74
Nicht unter § 52a Abs. 6 FGO fallen daher Mängel, die sich bspw. auf die Anforderungen zur Übermittlung des elektronischen Dokuments beziehen. Ebensowenig führen sonstige Fehler in den prozessualen Formvorschriften zur Anwendung des § 52a Abs. 6 FGO. Indes besteht hier aus der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts eine allgemeine Hinweispflicht, was bei Fristversäumung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen kann. So kann beispielsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Übermittler – ohne es zu wissen – technisch nicht zulässige Zeichen (Umlaute und Sonderzeichen) verwendet, die Nachricht deshalb vom zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs nicht dem Gericht zugestellt, sondern in ein Verzeichnis für "korrupte" Nachrichten verschoben wird, auf dessen Server das Gericht aber keinen Zugriff hat, und der Übermittler die Mitteilung erhält, seine Nachricht sei erfolgreich versandt und zugegangen.
Rz. 75
Das Gericht hat im Fall des § 52a Abs. 6 S. 1 FGO dem (identifizierbaren) Absender die fehlende Bearbeitbarkeit unverzüglich mitzuteilen. Dabei ist auf die Unwirksamkeit des Eingangs hinzuweisen. Der Hinweis sollte auch den konkreten Grund der fehlenden Bearbeitbarkeit enthalten.
Rz. 76 – 77 einstweilen frei
3.6.2 Fristwahrungsfiktion (§ 52a Abs. 6 S. 2 FGO)
Rz. 78
§ 52a Abs. 6 S. 2 FGO fingiert die Fristwahrung, falls der Absender das Dokument unverzüglich nach dem Hinweis des Gerichts in bearbeitbarer Form nachreicht und glaubhaft macht, dass das nachgereichte Dokument mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Der Absender hat danach unverzüglich ein bearbeitbares elektronisches Dokument nachzureichen. Die Nachreichung in anderer Form, bspw. in Papierform, genügt für die Fristwahrungsfiktion nicht.
Rz. 79
Die Glaubhaftmachung kann regelmäßig durch eine eidesstattliche Versicherung erfolgen. Ob die Glaubhaftmachung zeitgleich mit der Nachreichung zu erfolgen hat, ist nicht ausdrücklich geregelt. Sinn und Zweck der Regelung sprechen aber dafür, dass die Glaubhaftmachung zeitgleich erfolgen muss.
Rz. 80 – 81 einstweilen frei