Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 24
Nach § 62 Abs. 1 S. 1 FGO können sich die Beteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Im Revisionsverfahren und im Beschwerdeverfahren vor dem BFH besteht nach § 62a Abs. 1 FGO sogar ein Vertretungszwang durch eine Person i. S. d. § 3 Nr. 1 StBerG (Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer) oder eine Gesellschaft i. S. d. § 3 Nr. 2 u. 3 StBerG (Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Buchprüfungsgesellschaften).
Für die Zustellung im Fall der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten sind nach § 62 Abs. 6 S. 5 FGO die Zustellungen und Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Der Regelungsinhalt dieser Vorschrift deckt sich mit demjenigen des § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO. Als unmittelbar anwendbare Vorschrift geht § 62 Abs. 6 S. 5 FGO der Verweisung des § 53 Abs. 2 FGO vor. Die in § 62 Abs. 6 S. 5 FGO nicht enthaltenen, also über dessen Inhalt hinausgehenden Regeln des § 172 ZPO sind ergänzend heranzuziehen und anzuwenden.
Die ergänzende Heranziehung von § 172 ZPO kommt z. B. für dessen Abs. 2 S. 1 u. 2 in Betracht, wenn gegen eine Entscheidung in der ersten Instanz (z. B. Urteil des FG) von der Finanzbehörde ein Rechtsmittel eingelegt wird, der Prozessbevollmächtigte jedoch (zunächst) nur für die erste Instanz bestellt worden war.
Rz. 25
Ein Prozessbevollmächtigter ist dann i. S. d. § 62 Abs. 6 S. 5 FGO bestellt, wenn gegenüber dem Gericht jemand eindeutig als solcher genannt worden ist, ob dieses nun ausdrücklich oder schlüssig geschehen ist. Die schriftliche Erteilung einer Vollmacht ist seit der Neufassung des § 62 Abs. 6 S. 5 FGO durch Gesetz v. 21.12.1992 überholt. § 172 ZPO erfordert im Gegensatz zu § 171 S. 2 ZPO keine schriftliche Vollmacht. Auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Prozessvollmacht kommt es nicht an. Sie braucht für die Wirksamkeit der Zustellung grundsätzlich nicht geprüft zu werden. Dies ist nur beim Bestehen von konkreten Anhaltspunkten dafür erforderlich, dass die Bestellung zweifelhaft ist. Die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten kann gem. § 62 Abs. 1 S. 2 FGO auch durch Beschluss angeordnet werden.
Rz. 26
Ist ein Prozessbevollmächtigter bestellt, ist die Zustellung an den Beteiligten selbst grundsätzlich unwirksam. Ausnahmsweise ist die Zustellung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beteiligten an ihn selbst zu richten. Ist ein Prozessbevollmächtigter nicht bestellt, ist dem Beteiligten selbst zuzustellen.
Rz. 27
Die Heilung einer unwirksamen Zustellung an den Beteiligten trotz des Vorhandenseins eines bestellten Prozessbevollmächtigten ist durch eine Zustellung an den Prozessbevollmächtigten möglich. § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 189 ZPO, die ebenfalls in Ergänzung zu § 62 Abs. 6 S. 5 wirken, lassen nämlich die Heilung zu.
Verstöße gegen § 172 ZPO und andere Fehler, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, sollen geheilt werden können, wenn der Zustellungszweck erreicht wird. Die Heilung kann nur unter bestimmten Umständen ausgeschlossen werden, wie z. B. bei der Zustellung an den Insolvenzverwalter anstelle des Schuldners, für den das Schriftstück bestimmt war. Die Zustellungsregeln dienen der Rechtsklarheit. Sie haben keinen Selbstzweck und sollen nicht zur Förmelei führen. Ein Fall der Heilung ist gegeben, wenn das Schriftstück dem Adressaten (Prozessbevollmächtigten) tatsächlich zugegangen ist. Dies ist auch gegeben, wenn der Beteiligte das an ihn zugestellte Schriftstück an den Prozessbevollmächtigten weitergibt.