4.4.1 Allgemeines
Rz. 60
Die Vollmacht, durch die die Vertretungsbefugnis begründet wird (Rz. 18), kann grundsätzlich formfrei erteilt werden (Rz. 21). Der Nachweis der Vertretungsbefugnis ist nach § 62 Abs. 6 S. 1 FGO demgegenüber grundsätzlich durch "schriftliche Vollmacht", d. h. durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde, zu erbringen (Rz. 63).
Diese Nachweispflicht gilt regelmäßig für alle Bevollmächtigten. Sie gilt aber nicht für den "Behördenvertreter" (Rz. 13, 119), wohl aber für den von der Behörde beauftragten Anwalt oder Steuerberater.
Rz. 61
Die rechtzeitige (Rz. 78, 79) Vorlage der ordnungsgemäßen (Rz. 63, 64) Vollmachtsurkunde berührt die Wirksamkeit der Verfahrenshandlung des Bevollmächtigten, d. h. der Klageerhebung, der Antragstellung oder Rechtsmitteleinlegung. Sie ist Prozesshandlungsvoraussetzung. Sie ist also eine positive Sachentscheidungsvoraussetzung. Fehlt diese Voraussetzung, wird also die Vollmachtsurkunde nicht rechtzeitig vorgelegt, so ist die Klage von Anfang an unzulässig und stets abzuweisen, und zwar auch dann, wenn für die Vorlage keine besondere Aufforderung (Rz. 74) ergangen oder keine Frist (Rz. 78) gesetzt worden ist.
4.4.2 Gerichtliche Prüfung
Rz. 62
Das Unterlassen der Vorlage der Vollmachtsurkunde bewirkt einen Mangel der Vollmacht (Rz. 26). Nach § 62 Abs. 6 S. 4 FGO hat das Gericht diesen Mangel von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter eine Gesellschaft oder ein Angehöriger der rechts- und steuerberatenden Berufe i. S. v. § 62 Abs. 2 S. 1 FGO auftritt.
Rz. 62a
Diese Ausnahmeregelung schränkt entsprechend § 88 Abs. 2 ZPO die Amtsermittlungspflicht nur für die genannten Berufsträger (Rz. 43) ein. Für die Amtsermittlungspflicht besteht hier deswegen kein Bedarf, weil einer der genannten Berufsträger auftritt, der regelmäßig nicht ohne Auftrag (Rz. 15) und Vollmacht (Rz. 17) handeln wird. Diese Ausnahmeregelung gilt für jeden genannten Berufsträger, sofern er ordnungsgemäß bestellt ist (Rz. 44).
Rz. 62b
Die Amtsermittlungspflicht des Gerichts besteht jedoch wieder, wenn durch einen anderen Beteiligten der Mangel der Vollmacht gerügt wird. Dies kann entsprechend § 155 FGO i. V. m. § 88 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens erfolgen.
Rz. 62c
Die Ausnahmeregelung gilt in jedem Verfahren (Rz. 1) und in jedem Stadium. Sie hindert das Gericht allerdings nicht, im Einzelfall den Nachweis durch Vorlage der Vollmachtsurkunde zu verlangen. Nach dem Gesetzeswortlaut braucht das Gericht den Mangel der Vollmacht nur nicht von Amts wegen zu beachten. Das Gericht muss die Vertretungsbefugnis aber dann nachprüfen, wenn die Grundlage der Ausnahmeregelung (Rz. 62a) zweifelhaft ist. Eine Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Bevollmächtigung hat demgemäß stets zu erfolgen, wenn Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen.
Für die Annahme solcher begründeter Zweifel müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, abstrakte Mutmaßungen rechtfertigen die Aufforderung zur Vorlage der Vollmachtsurkunde bei einem Berufsträger demgegenüber nicht. Solche Anhaltspunkte für Bedenken können z. B. gegeben sein:
- bei einer sachwidrigen Prozessführung,
- aus einer vorgelegten Vollmachtsurkunde heraus,
- bei einer vom Bevollmächtigten zuvor selbst mitgeteilten Mandatsniederlegung,
- bei einem Mandatsentzug im erstinstanzlichen Verfahren.
Im Übrigen muss das Gericht, um eine Verletzung des Steuergeheimnisses möglichst zu verhindern, den Nachweis der Vollmacht verlangen, wenn schon aufgrund des konkreten Sachverhalts geringste Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen.