Rz. 129
Von dem Vertretungszwang hat der BFH verschiedene Ausnahmen zugelassen. Ob diese Rechtsprechungsausnahmen nach der Neufassung des § 62 Abs. 4 FGO alle noch fortgelten, erscheint zweifelhaft. Der Gesetzeswortlaut bestimmt in S. 2, dass der Vertretungszwang auch für Prozesshandlungen gilt, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird, und enthält, anders als § 11 ArbGG, § 73 SGG und § 67 VwGO, keine Ausnahmeregelung. Die Gesetzesbegründung geht gleichwohl davon aus, dass die Neuregelung keine materiellen Änderungen gegenüber den Regelungen des § 62a FGO a. F. bringt. Aufgrund der uneingeschränkten Gesetzesfassung fehlt für eine vollständige Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechungsausnahmen die Rechtsgrundlage. Hier muss m. E. jedoch differenziert werden:
Rz. 129a
Kein Vertretungszwang bestand nach st. Rspr. des BFH zu § 62a FGO a. F. in den Fällen, in denen nach § 155 FGO i. V. m. § 78 Abs. 5 ZPO eine Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden kann, so z. B. für
- den beim BFH als Prozessgericht zu stellenden Antrag auf Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe;
- den Antrag auf Beiordnung eines Bevollmächtigten (Rz. 130) für Verfahren vor dem BFH;
- die Erinnerung gegen den Kostenansatz;
- den Antrag auf Streitwertfestsetzung nach § 25 Abs. 2 S. 2 GKG;
- das Gesuch auf Ablehnung eines Richters nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 44 Abs. 1 S. 1 ZPO;
- das Gesuch auf Beweissicherung nach § 81 FGO i. V. m. § 486 Abs. 1 ZPO.
Rz. 129b
Die Annahme des Vertretungszwangs auch für diese Erklärungen (Rz. 129) schränkt, jedenfalls für den Antrag auf Prozesskostenhilfe und den Antrag auf Beiordnung eines Bevollmächtigten, die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (Vor § 1 FGO Rz. 2) übermäßig ein, wenn der Beteiligte finanziell nicht in der Lage ist, das Honorar für einen Bevollmächtigten zu erbringen. Der Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 4 S. 1 u. 2 FGO hindert nicht über § 155 FGO insoweit die Regelung des § 78 Abs. 5 FGO, wonach der zivilprozessuale Anwaltszwang vor den Land- und Oberlandesgerichten nicht für Prozesshandlungen gilt, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Demgemäß geht für diese Prozesshandlungen die gefestigte BFH-Rechtsprechung und auch die überwiegenden Auffassung in der Literatur davon aus, dass der Vertretungszwang insoweit nicht gilt.
Rz. 129c
Abgesehen von diesen zur Sicherung der Rechtsschutzgarantie erforderlichen Ausnahmen (Rz. 129b), gilt m. E. der Vertretungszwang für alle sonstigen Erklärungen. So bestand nach st. Rspr. des BFH kein Vertretungszwang, wenn weitere Prozesshandlungen eines Beteiligten im Verfahren nicht erforderlich waren, z. B. für:
- die Rücknahme eines Rechtsmittels durch den Rechtsmittelführer persönlich, auch wenn das Rechtsmittel ordnungsgemäß durch einen Bevollmächtigten eingelegt worden ist.
- die Erklärung der Erledigung der Hauptsache.
Diese ohnehin bisher schon kritisierten Ausnahmen bestehen also nicht fort.