4.1 Allgemeines
Rz. 34
§ 68 FGO ist eine Norm mit einem ausschließlich verfahrensrechtlichen Zweck und Rechtscharakter (s. Rz. 2). Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Begriffe "Änderung" und "Ersetzung" aus verfahrensrechtlicher Sicht bestimmt werden. Diese Bestimmung hat unabhängig vom Sprachgebrauch der AO und der Steuergesetze, der ohnehin nicht einheitlich bzw. im Fall der "Ersetzung" nur in § 365 Abs. 3 AO in Anlehnung an § 68 FGO nachträglich aufgenommen worden ist, und unabhängig von der strittigen rechtsdogmatischen Erklärung des Verhältnisses zwischen "Erstbescheid" und "neuem Verwaltungsakt" (s. Rz. 3, 6) zu erfolgen (BFH v. 20.11.1973, VII R 33/71, BStBl II 1974, 113; BFH v. 17.4.1991, II R 142/87, BStBl II 1991, 527; v. Groll, in Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 68 FGO Rz. 60).
Die Begriffe sind entsprechend der bezweckten Verfahrensvereinfachung (s. Rz. 3) weit auszulegen (BFH v. 24.7.1984, VII R 122/80, BStBl II 1984, 791, 794; BFH v. 4.9.2001, VIII B 119/00, BFH/NV 2002, 157; BFH v. 27.4.2004, X R 28/02, BFH/NV 2004, 1287; FG Hamburg v. 7.4.1999, V 83/97, EFG 1999, 789; Niedersächsisches FG v. 9.7.2009, 11 K 524/08, Haufe-Index 2212923; v. Groll, in Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 68 FGO Rz. 60; Seer, in Tipke/Kruse, AO, § 68 FGO Rz. 10). Die Bezeichnung der Korrekturvorschrift ist unerheblich. Maßgeblich ist allein, dass "dieselbe Steuersache" durch die Regelung im "Erstbescheid" und im "neuen Verwaltungsakt" betroffen ist (BFH v. 17.4.1991, II R 142/87, BStBl II 1991, 527; BFH v. 17.9.1992, V R 17/86, BFH/NV 1993, 279; BFH v. 20.5.1994, VI R 105/92, BStBl II 1994, 836; BFH v. 8.9.1994, IV R 20/93, BFH/NV 1995, 520; BFH v. 9.3.1999, VIII B 76/98, BFH/NV 1999, 1058; BFH v. 8.2.2001, VII R 59/99, BStBl II 2001, 506; BFH v. 27.4.2004, X R 28/02, BFH/NV 2004, 1287; s. auch Rz. 44).
4.2 Ändernder Verwaltungsakt
4.2.1 Begriff
Rz. 35
Eine Änderung i. S. v. § 68 FGO setzt zunächst voraus, dass durch den Verwaltungsakt eine eigenständige und neue Regelung getroffen wird (s. Rz. 38). Sie liegt vor, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt als Verfahrensgegenstand zwar rechtlich latent vorhanden bleibt, aber durch einen neuen, rechtlich selbstständigen Verwaltungsakt einen modifizierten Regelungsinhalt bekommt (s. Rz. 6). Hierbei ist es unerheblich, auf welcher Rechtsnorm die Änderung beruht (s. Rz. 34) und ob z. B. die Steuer herauf- oder herabgesetzt wird. Dies wirkt sich nur auf den Inhalt des zu stellenden Klageantrags aus (s. Rz. 14).
4.2.2 Beispiele
Rz. 36
§ 68 FGO ist demzufolge anwendbar bei folgenden "ändernden" Verwaltungsakten:
- Änderung von Steuerbescheiden, die gem. § 164 Abs. 2 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind. Hierbei ist es unerheblich, ob in dem Änderungsbescheid der Nachprüfungsvorbehalt bestehen bleibt oder aufgehoben wird. Auch die nachträgliche Aufnahme des Nachprüfungsvorbehalts oder eines Vorläufigkeitsvermerks wäre eine Änderung i. S. v. § 68 FGO (s. Frotscher, in Schwarz, AO, § 165 AO Rz. 26ff.; BFH v. 17.9.1997, X R 87/94, BFH/NV 1998, 560; BFH v. 11.11.2008, V B 2/08, BFH/NV 2009, 401).
- Änderung von Steuerbescheiden, die gem. § 165 Abs. 2 AO einen Vorläufigkeitsvermerk enthalten. Auch ein Bescheid, durch den ein Steuerbescheid nachträglich für vorläufig erklärt wird, ist ein Änderungsbescheid i. S. v. § 68 FGO (FG Rheinland-Pfalz v. 4.2.1991, 5 K 2037/90, EFG 1991, 485; BFH v. 9.8.1991, III R 41/88, BStBl II 1992, 219; Niedersächsisches FG v. 20.10.1992, VIII (II) 147/89, EFG 1993, 457; a. A. FG Rheinland-Pfalz v. 9.2.1990, 2 K 1076/89, EFG 1991, 269; FG Hamburg v. 11.4.1997, V 26/91, EFG 1998, 263).
- Änderungen gem. §§ 172–175 AO .
- Änderungen der Zerlegung und Zuteilung gem. §§ 189, 190 AO.
- Änderungen der Aufteilung gem. § 280 AO.
- Änderungen gem. § 35b GewStG .
Rz. 36a
Auch der im Klageverfahren erlassene Abhilfebescheid ist eine Änderung i. d. S.. Erfolgt die Abhilfe durch ersatzlose vollständige Aufhebung, Rücknahme oder Widerruf, so ist das Klageverfahren erledigt. Bei einer inhaltlichen "Teilabhilfe" gilt § 68 FGO. Bei einer inhaltlichen "Vollabhilfe" fehlt für eine Fortsetzung des Klageverfahrens gegen den "neuen Verwaltungsakt" das Rechtsschutzbedürfnis (s. Rz. 14).
Rz. 37
Als inhaltliche Änderung i. S. d. Bestimmung ist auch die Berichtigung nach § 129 AO anzusehen. Dies gilt ebenso für den "Richtigstellungsbescheid" nach § 182 Abs. 3 AO.
Rz. 38
Die Wiederholung des Regelungsinhalts des "Erstbescheids", ohne dessen inhaltliche Modifizierung, ist nur dann eine Änderung i. d. S., wenn diese Wiederholung als selbstständiger Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Nur dann werden die Rechtswirkungen des "Erstbescheids" suspendiert, ansonsten hat die Maßnahme nur die Funktion eines Hinweises auf eine bestehende Regelung.
Rz. 39
Eine Änderung i. S. v. § 68 FGO liegt demgegenüber nicht vor:
- bei einer Teilrücknahme bzw. einem Teilwiderruf nach §§ 130, 131 AO . Anders als bei einer Änderung i. S. d. §§ 172–175 AO werden die Rechtswirkungen des ursprüngl...