Rz. 27
Die beklagte Finanzbehörde muss die den Streitfall betreffenden Akten vollständig übermitteln und darf deshalb grundsätzlich keine Akten, Aktenbestandteile oder sonstige Unterlagen zurückhalten. Sofern die vorgelegten Akten der Finanzbehörde dem äußeren Anschein nach ordnungsgemäß geführt wurden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie vollständig sein. Eine durchlaufende Paginierung der vorgelegten Akten ist nicht erforderlich. Eine solche mag zwar wünschenswert sein, kann aber durch andere nachvollziehbare Ordnungsprinzipien, wie das Einheften nach der zeitlichen Reihenfolge der Vorgänge, ersetzt werden. Allerdings dürften die vorzulegenden Papierakten schon im Eigeninteresse der beklagten Finanzbehörde vollständig zu paginieren sein, um die Vollständigkeit und Integrität der Akten zu gewährleisten.
Rz. 28
Die Pflicht des FA zur Vorlage von Steuerakten wird lediglich durch § 86 FGO eingeschränkt. Hiernach darf die Finanzbehörde gem. § 86 Abs. 1 FGO die Herausgabe von Aktenbestandteilen oder sonstigen Unterlagen im Hinblick auf die durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO geschützten Verhältnisse nicht beteiligter Dritter verweigern. Eine Nichtvorlage ist ausnahmsweise auch gerechtfertigt, wenn und soweit die Vorlage entsprechend § 86 Abs. 2 S. 1 FGO dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würden oder wenn die Vorgänge aus anderen Gründen nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen. Insoweit sind die Finanzbehörden befugt, entsprechende Aktenbestandteile vor der Aktenvorlage zu entnehmen. Gleichwohl hat die Finanzbehörde dafür Sorge zu tragen, dass die aus den zurückgehaltenen Aktenbestandteilen für den Streitfall bedeutsamen Informationen dem FG zugänglich gemacht werden.
Rz. 29
Sofern die beklagte Finanzbehörde Akten, Aktenbestandteile oder sonstige Unterlagen zurückhält, kann das FG die Vorlage anordnen. Die Vorlage wird zweckmäßigerweise nicht durch eine prozessleitende Verfügung, sondern durch einen Auflagenbeschluss des Senats bzw. des Einzelrichters i. S. d. § 6 Abs. 1 FGO angeordnet. Wie bei einer Unmöglichkeit der Aktenvorlage – z. B. wenn die Akten außer Kontrolle geraten sind – darf das FG auch im Fall einer ernsthaften Weigerung der Finanzbehörde zur Aktenübermittlung nicht sogleich eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast treffen. Vorrangig sind in jedem Fall eigene Bemühungen des FG zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, allerdings kann die Nichtvorlage im Einzelfall zu einer Reduzierung des Beweismaßes oder gar zu einer Beweislastumkehr führen. Wenn die beklagte Finanzbehörde hingegen unter Berufung auf § 86 FGO die den Streitfall betreffenden Akten nicht oder nur unvollständig vorlegt, können ausschließlich die Beteiligten i. S. d. § 57 FGO beim BFH einen Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO stellen. Hiernach stellt der BFH im sog. "In-camera"-Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist.
Rz. 30
Die Ablehnung eines Antrags des Klägers, die Vorlage bestimmter Akten der beklagten Finanzbehörde anzuordnen, ist wie die Ablehnung eines Beweisantrags gem. § 128 Abs. 2 FGO nicht selbständig anfechtbar; es sei denn, dass durch die etwaige Verweigerung der Akteneinsicht das rechtliche Gehör des Klägers berührt wurde, weil er sein Rechtsschutzbegehren nicht effektiv formulieren konnte. Vielmehr muss der Kläger in einem solchen Fall im Rechtsmittelverfahren der Hauptsache einen Verstoß des FG gegen seine Sachaufklärungspflicht geltend machen.