3.1 Erteilung und Fiktion der Einwilligung
Rz. 25
In den in § 72 Abs. 1 S. 2 FGO aufgeführten Fällen (Rz. 29) ist die Rücknahme nur mit Einwilligung des Beklagten möglich. Durch diese Regelung soll dem Interesse des Beklagten an einer gerichtlichen Entscheidung bei einem bereits weit fortgeschrittenen Prozessstadium Rechnung getragen und verhindert werden, dass sich der Kläger gegen den Willen des Beklagten einer Entscheidung durch Urteil entzieht. Im Rahmen der entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Antragsverfahren ist § 72 Abs. 1 S. 2 FGO nach h. A. nicht anwendbar.
Rz. 26
Die Erteilung der Einwilligung steht im freien Belieben der Behörde. Nach dem Zweck der Regelung ist für die Nichterteilung weder ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis noch ein sachlicher Grund erforderlich. Die Nichterteilung der Einwilligung ist weder ein Verwaltungsakt noch begründungsbedürftig und kann nach dem Normzweck des § 72 Abs. 1 S. 2 FGO auch nicht als rechtsmissbräuchlich verworfen werden.
Die Einwilligung des Beklagten ist ebenfalls gegenüber dem Gericht abzugeben und als Prozesshandlung ebenso bedingungsfeindlich, unwiderruflich und unanfechtbar. Sie bedarf keiner besonderen Form und kann auch durch schlüssiges Verhalten erteilt werden.
Rz. 27
Nach § 72 Abs. 1 S. 3 FGO wird die Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme fingiert, wenn der Rücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung der die Rücknahme enthaltenden Erklärung widersprochen wird; das Gericht muss mit der förmlichen Zustellung der Rücknahmeerklärung i. S. d. § 53 FGO auf diese Folge hinweisen. Die Fiktion des § 72 Abs. 1 S. 3 FGO tritt nur dann nicht ein, wenn ein ausdrücklicher Widerspruch der Behörde erfolgt. Der Widerspruch ist Verfahrenshandlung und kein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt. Für die Berechnung der Zweiwochenfrist gilt § 54 Abs. 2 FGO. Da es sich um eine gesetzliche Frist handelt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO grds. möglich.
Rz. 28
Bei Nichterteilung einer erforderlichen Einwilligung ist die Rücknahmeerklärung unwirksam. Dasselbe gilt, wenn die Einwilligung auch nicht als erteilt gilt. In diesen Fällen ist das Verfahren fortzusetzen und über die Klage auch dann sachlich zu entscheiden, wenn der Kläger seinen Klageantrag nicht aufrechterhält. Insoweit ist die Klage aber mangels Rechtsschutzinteresse als unzulässig abzuweisen. War im Zeitpunkt der Unwirksamkeit der Rücknahme bereits ein Urteil bzw. ein Gerichtsbescheid ergangen und wird kein Rechtsmittel eingelegt, tritt mit Ablauf der Rechtsmittelfrist die Rechtskraft ein.
3.2 Erforderlichkeit der Einwilligung
Rz. 29
Der Einwilligung des Beklagten in die Rücknahme bedarf es, wenn die Rücknahme nach Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt wird. Nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung lebt das Recht auf Zurücknahme der Klage ohne Einwilligung des Beklagten wieder auf. In der Revisionsinstanz ist für wirksame Klagerücknahme schon im Hinblick auf die erstinstanzliche mündliche Verhandlung eine Einwilligung des Beklagte erforderlich.
Hat der Kläger die Klage während des Revisionsverfahrens mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen, ist die Unwirksamkeit des erstinstanzlichen Urteils und die Gegenstandslosigkeit der Revision aus Gründen der Rechtsklarheit vom BFH ausdrücklich auszusprechen.
Rz. 30
Der Einwilligung des Beklagten bedarf es ferner, wenn die Rücknahme erst nach Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt wird. Der Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist allerdings gem. § 90 Abs. 2 FGO erst wirksam, wenn alle Verfahrensbeteiligten entsprechende übereinstimmende Prozesserklärungen abgegeben haben. Sofern noch die Verzichtserklärungen anderer Beteiligter ausstehen, kann der Kläger auch nach eigenem Verzicht auf mündliche Verhandlung noch ohne Einwilligung des Beklagten die Klage zurücknehmen. Findet trotz übereinstimmenden Verzichts eine mündliche Verhandlung statt, ist bis zu ihrem Schluss die Klagerücknahme ebenfalls wieder ohne Einwilligung des Beklagten möglich. Ebenso verhält es sich, wenn zwar im ersten Rechtsgang auf mündli...