Rz. 35
Es besteht kein verfahrensrechtlicher Vorrang eines Strafverfahrens gegenüber dem Verfahren der Steuerfestsetzung. Daher ist der Ausgang eines anhängigen Strafverfahrens auch nicht vorgreiflich für ein wegen des gleichen Vorgangs anhängiges finanzgerichtliches Verfahren. Die FG haben nach § 76 FGO eine selbständige Amtsermittlungspflicht und sind daher auch nicht an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Es besteht daher keine Pflicht zur Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, wenn die streitige Steuer auch Gegenstand eines Strafverfahrens ist. Daher dürfte auch § 149 ZPO in finanzgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden sein. Im Einzelfall kann allerdings eine Aussetzung in Betracht kommen.
Rz. 36
Eine Aussetzung kann gerechtfertigt sein, wenn zu erwarten ist, dass in einem Steuerstrafverfahren für das finanzgerichtliche Verfahren relevante Erkenntnisse (Tatsachen) gewonnen werden können, die für das Besteuerungsverfahren, welches auf von der Steuerfahndung getroffenen Feststellungen beruht, von Bedeutung sind und ohne eine Aussetzung der ordnungsgemäße Fortgang des finanzgerichtlichen Verfahrens dadurch erschwert wird, dass die Verwaltungsakten auch für das Strafverfahren benötigt werden. Insoweit hat das FG allerdings im Rahmen seiner Ermessensentscheidung (vgl. Rz. 14) die für rechtserheblich und für noch aufklärungsbedürftig gehaltenen Tatsachen konkret darzulegen und auszuführen, aus welchem Grund insoweit aus dem Steuerstrafverfahren bessere Erkenntnisse zu erwarten sind als bei einer Sachaufklärung durch das FG selbst.
Rz. 37
Eine Aussetzung des Verfahrens kann sogar geboten sein, wenn das Strafverfahren kurz vor dem Abschluss steht und der Stpfl. vorträgt, nach dessen Ende seinen Mitwirkungspflichten voll genügen zu wollen. Ebenso kommt eine Aussetzung in Betracht kommen, wenn die Frage, ob der Stpfl. eine Steuerstraftat begangen hat, Einfluss auf die finanzgerichtliche Entscheidung hat. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass auch das Strafverfahren nach § 396 AO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden kann, wenn die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind. Der Umstand, dass zur Vermeidung doppelter Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörde und durch die Finanzbehörde ein Verfahrensstillstand des Besteuerungs- und Einspruchsverfahrens zweckmäßig sein kann, vermag eine Aussetzung nach § 74 FGO aber nicht zu rechtfertigen.