2.1 Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 S. 1 und 5 FGO)
2.1.1 Inhalt
2.1.1.1 Allgemeines
Rz. 8
Nach § 76 Abs. 1 S. 1 FGO untersucht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es hat unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel bis zur Grenze des Zumutbaren den Sachverhalt nach allen Seiten (zugunsten wie zuungunsten des Klägers) so vollständig wie möglich aufzuklären, damit es nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden kann. Dabei hat es grundsätzlich allen sich aus dem Vortrag der Beteiligten und aus den Akten ergebenden Zweifeln nachzugehen. Danach ist das FG verpflichtet, den Sachverhalt zu erforschen und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Es muss zwar nicht jeder noch so fern liegenden Erwägung nachgehen, wohl aber die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen.
Rz. 9
Zu ermitteln ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das Gericht nur das aufzuklären, was aus seiner materiell-rechtlichen Sicht entscheidungserheblich ist.
Rz. 10
Aus Gründen der Prozessökonomie ist es trotz der Konzentrationsmaxime ratsam, in rechtslogischen Schritten vorzugehen. Es empfiehlt sich für das Gericht, vor Beginn der Ermittlungsarbeit und besonders vor Durchführung einer Beweisaufnahme den entscheidungserheblichen ungeklärten bzw. streitigen Sachverhalt herauszuarbeiten und in ein für die Lösung des Falls rechtslogisches System zu bringen, um unnötige, zeit- und kostenaufwendige Ermittlungen zu vermeiden.
Rz. 11
Offenkundige und gerichtskundige Tatsachen bedürfen keiner Ermittlung, ebenso Bewertungen und Beurteilungen, die der eigenen Sachkunde des Gerichts zugänglich sind, z. B. die Frage, ob ein Betrieb geeignet ist, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften.
Rz. 12
Zunächst müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen/Sachentscheidungsvoraussetzungen sowie die formellen Vorfragen für die materielle Überprüfung des Steuerbescheids (z. B. die Bekanntgabe) vorliegen, die von dem Gericht selbstständig zu ermitteln sind. Sodann wird der zu ermittelnde Sachverhalt durch das Klagebegehren und den Regelungsinhalt des angefochtenen oder begehrten Verwaltungsakts bestimmt. Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit des in Rede stehenden Verwaltungsakts. Das Gericht ist dabei im Rahmen der Sachverhaltserforschung nicht auf die vom Kläger zur Überprüfung gestellten Punkte (Besteuerungsgrundlagen) beschränkt. Es muss grundsätzlich den gesamten Sachverhalt ermitteln, der zu dem angegriffenen Regelungsinhalt führte. Dies kann auch zu für den Kläger ungünstigen Saldierungen führen.
Rz. 13
Die Sachaufklärungspflicht des Gerichts bedeutet nicht, dass alle unbestrittenen Tatsachen der Entscheidung ohne Weiteres zugrunde zu legen sind. Wenn sich Zweifel an der Richtigkeit aufdrängen, muss das Gericht von sich aus nachforschen. Das Gericht darf nicht ohne weitere Ermittlungen dem unbelegten Vorbringen eines hierfür darlegungspflichtigen Beteiligten folgen, das im finanzgerichtlichen Verfahren streitig geblieben ist. In einem solchen Fall muss das Gericht den aufgeworfenen Zweifeln von Amts wegen nachgehen, ohne dass es eines förmlichen Beweisantritts des nicht darlegungsbelasteten Beteiligten bedarf.
Rz. 14
Bei der Ermittlung des Sachverhalts sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, z. B. bei hohen Sachverständigenkosten, das Interesse des FA an einem effektiven Verwaltungsverfahren und der Schutz der Intimsphäre der Beteiligten zu wahren. Es ist immer der Zweck des gerichtlichen Verfahrens im Auge zu behalten, nämlich Individualrechtsschutz zu gewähren und nicht die materiell zutreffende Besteuerung um jeden Preis durchzusetzen. Dieser Zweck rechtfertigt auch die Präklusion neuen Vorbringens seitens der Beteiligten und die Entscheidung ohne weitere Ermittlungen nach § 76 Abs. 3 FGO und § 79b FGO, wenn die Beteiligten ihre Mitwirkungspflicht verweigern.
Rz. 15
Soweit ein Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, ist die Ermittlungspflicht auf den Inhalt der Steuerakten und den Klagevortrag beschränkt. Das Gericht ist weder verpflichtet, sämtliche Besteuerungsgrundlagen ohne Anhaltspunkte vollständig aufzuklären, noch ist es an einer Prüfung im Rahmen des Inhalts der Steuerakten unter Berücksichtigung des Klagevortrags gehindert, nur weil das FA eine abschließende Prüfung noch nicht vorgenommen hat. Der Gewaltenteilungsgrundsatz steht dem nicht entgegen. Denn das Gericht überprüft grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und nicht nur einzelne Besteuerungsgrundlagen. Fehler zugunsten und zulasten des Klägers sind bis zum Klagebegehren zu saldieren. Wendet sich ein Stpfl. hingegen nur gegen den Vorbehalt, ist vom Gericht lediglich zu klären, ob sich die Finanzbehörde im Rahmen ihres Ermessens gehalten hat.
Rz. 16
Bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten ist das Gericht wegen der Amtsermittlungspflicht auch gehalten, ...