4.1 Allgemeines
Rz. 73
§ 76 Abs. 3 FGO soll der Verfahrensbeschleunigung dienen. Auf der anderen Seite stehen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Anspruch auf rechtliches Gehör. Während der Finanzbehörde in § 364b AO kein Ermessen eingeräumt wird, ist dies für das Gericht der Fall, wobei zusätzlich die Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO zu beachten sind. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Vorschrift greifen nicht durch. Die zwingende Präklusion im außergerichtlichen Verfahren setzt sich wegen der Ermessensentscheidung des Gerichts nicht automatisch fort. Andererseits erscheint es bedenklich, wenn eine rechtmäßige Verwaltungsentscheidung zur Disposition des Gerichts steht. Ungeachtet der Bedenken haben weder § 364b AO noch § 76 Abs. 3 FGO eine große Bedeutung in der Praxis. Nur selten macht die Finanzbehörde von § 364b AO Gebrauch, wohl im Bewusstsein, dass das Gericht nach § 364b AO ausgeschlossenes, neues Vorbringen des Klägers i. d. R. berücksichtigt. Zu beachten ist, dass § 137 S. 3 FGO dem Kläger die Kosten auch im Fall seines Obsiegens auferlegt, wenn das Gericht verspätetes Vorbringen trotz rechtmäßiger Anwendung des § 364b AO berücksichtigt.
4.2 Präklusion im Einzelnen
4.2.1 Fristsetzung durch die Verwaltungsbehörde
Rz. 74
Die Entscheidung des Gerichts, Erklärungen und Beweismittel des Klägers nach § 76 Abs. 3 FGO zurückzuweisen, setzt voraus, dass eine von der Einspruchsbehörde wirksam nach § 364b AO gesetzte Frist verstrichen ist.
Rz. 75
Bei Prüfung der Frage, ob die Einspruchsbehörde die Ausschlussfrist wirksam gesetzt hat, ist zu beachten, dass eine Fristsetzung nach § 364b Abs. 1 Nr. 1–3 AO erst in Betracht kommt, wenn der Einspruchsführer den angegriffenen Verwaltungsakt genau bezeichnet und angegeben hat, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Diese Aufforderung kann nicht mit einer Ausschlussfrist verbunden werden, da für das Einspruchsverfahren eine dem § 65 Abs. 2 FGO entsprechende Regelung fehlt. Liegen diese Angaben vor, kommt eine Fristsetzung nach § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO infrage, wenn der Einspruch nicht weiter begründet wird. Spezifizierte Aufforderungen nach § 364b Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO sind erst dann möglich, wenn der Kläger die ihn beschwerenden Tatsachen, eventuell nach Fristsetzung gem. Nr. 1, benannt hat, also feststeht, dass nicht nur um reine Rechtsfragen gestritten wird.
4.2.2 Zurückweisen neuen Vorbringens
Rz. 76
Ist eine unter Beachtung der Voraussetzungen von § 364b Abs. 1 und 3 AO wirksam verfügte Ausschlussfrist verstrichen, muss neues Vorbringen im Einspruchsverfahren unberücksichtigt bleiben. Eine Einspruchsentscheidung sollte die Voraussetzungen für die Zurückweisung verspäteten Vorbringens anführen, um dem FG die Überprüfung der Einspruchsentscheidung auf Verfahrens- und Ermessensfehler hin zu ermöglichen. Das Gericht kann, wenn es die Voraussetzungen einer Präklusion im Einspruchsverfahren für nicht erfüllt hält, die Einspruchsentscheidung bei entsprechendem Antrag isoliert aufheben oder die Sache an die Einspruchsbehörde zurückverweisen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Es kann aber auch seinerseits Ausschlussfristen nach § 65 Abs. 2 FGO und § 79b FGO setzen bzw. bereits Vorgetragenes bei einer Sachentscheidung berücksichtigen. Hat die Einspruchsbehörde entgegen § 364b Abs. 2 AO nachträgliches Vorbringen zugelassen und in der Einspruchsentscheidung gewürdigt, kommt eine Präklusion eben dieses Vorbringens im gerichtlichen Verfahren nicht in Betracht. Denn Gegenstand der Anfechtungsklage ist gem. § 44 Abs. 2 FGO der Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Es handelt sich bei der Frage, ob bestimmtes Vorbringen vom Gericht gem. § 76 Abs. 3 FGO zurückgewiesen werden kann, nicht um eine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern allein um die Frage, inwieweit der gerichtliche Amtsermittlungsgrundsatz nach § 76 Abs. 1 S. 1 FGO begrenzt ist.
Rz. 77
Eine Präklusion tritt im Einspruchsverfahren nicht ein, wenn die Behörde mit der Einspruchsentscheidung den angefochtenen Verwaltungsakt verbösert. In einem solchen Fall war nachträgliches Vorbringen zugunsten wie zulasten des Einspruchsführers zu berücksichtigen. Das Gericht kann in Verböserungsfällen das nach Ablauf der behördlichen Ausschlussfrist sowohl im Einspruchsverfahren als auch im anschließenden Gerichtsverfahren nachträglich Vorgetragene nicht zurückweisen und bei seiner Entscheidung unberücksichtigt lassen. Die von der Behörde gesetzte Ausschlussfrist ist durch die Verböserung im Einspruchsverfahren verbraucht, auch wenn im Einspruchsverfahren nachträglich nichts vorgebracht wurde oder die Behörde nachträgliches Vorbringen tatsächlich nicht verwertet hat. Das folgt aus § 44 Abs. 2 FGO, wonach ...