Rz. 66
Die Regelungen zu Art und Weise der Akteneinsicht bei einer führenden Papierakte in § 78 Abs. 3 FGO sind nicht abschließend. Das Akteneinsichtsrecht ist Ausdruck rechtlichen Gehörs und muss dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes genügen. Allerdings sind durch die gesetzliche Neuregelung seit 1.1.2018 Ausnahmen von der gesetzlichen Art und Weise der Akteneinsicht noch seltener anzunehmen, als nach der ohnehin schon restriktiven Rechtsprechung zur früheren Rechtslage bis 31.12.2017.
Rz. 67
Bei der Entscheidung über die Akteneinsicht ist von der gesetzlichen Grundregel des § 78 Abs. 3 S. 1 FGO auszugehen, wonach nunmehr die Akteneinsicht grundsätzlich in Diensträumen, nicht notwendigerweise in den Räumen des Gerichts erfolgt. Ist dies nicht möglich, ist zu überlegen, ob ggf. Akteneinsicht nach § 78 Abs. 3 S. 2 FGO gewährt werden kann. Erst dann stellt sich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Frage, ob ausnahmsweise auch die Akteneinsicht durch Versendung/Mitnahme der Akten in die Wohnung oder Büroräume des Prozessbevollmächtigten möglich ist. Dies wird auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
Rz. 68
Grund für die restriktive Handhabung ist, dass es der Gesetzgeber bei der Neuregelung wiederum versäumt hat, die Regelung des § 100 Abs. 3 S. 3 VwGO n. F. bzw. § 100 Abs. 3 S. 3 SGG n. F., wonach die Mitnahme der Akten in die Wohnung oder Geschäftsräume bestimmter Prozessbevollmächtigter gestattet werden kann, in die FGO zu übernehmen. Es bleibt somit dabei, dass die unterschiedlichen Fassungen des Akteneinsichtsrechts in den verschiedenen Verfahrensordnungen auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruhen. Eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, die dies restriktiv handhabte und nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zuließ, ist danach nicht zu erwarten.
Rz. 69
Die grundsätzliche Nicht-Versendung der Akten in die Geschäftsräume/Wohnung eines Prozessbevollmächtigten, insbesondere eines Bevollmächtigten i. S. § 62 Abs. 2 S. 1 FGO, mag zu kritisieren sein.
Denn die Versendung an ein auswärtiges Gericht oder FA bzw. an andere Diensträume ist mindestens ebenso zeitaufwendig. Akten oder Aktenbestandteile können auch bei Gerichten und Behörden verlorengehen. Diese Gefahr ist bei den unter besonderen berufsrechtlichen Verpflichtungen stehenden Beratern nicht größer Der BFH hat indes zur früheren Rechtslage darauf hingewiesen, dass der bloße Hinweis auf die Verschwiegenheitsverpflichtung nicht geeignet sei, das Regel-Ausnahmeverhältnis des § 78 FGO a. F. umzukehren. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in den Akten, in die Akteneinsicht zu gewähren ist, auch Beweismittel enthalten sein können, beispielsweise Urkunden oder Beweiszeichen, die in Augenschein zu nehmen sind. Zwar betrifft dies i. d. R. nicht die Prozessakten des Gerichts, da die Beteiligten ihren Schriftsätzen seit 1.7.2014 die Urkunden, auf die sie in den Schriftsätzen Bezug nehmen, nicht mehr in Urschrift beifügen müssen.
Es können aber derartige Beweismittel in den Akten, die dem Gericht vorgelegt werden und in die Akteneinsicht zu gewähren ist, weiterhin vorhanden sein. Dies würde es rechtfertigen, jedenfalls eine Versendung in die Geschäftsräume/Wohnung eines Prozessbevollmächtigten weiterhin grundsätzlich abzulehnen. Bei einer Versendung an Diensträume in der Nähe dieses Orts könnten Kopien derartiger Unterlagen gefertigt und zur Akte genommen werden, die als solche zu kennzeichnen sind.
Die zu versendenden Akten könnten danach lediglich Kopien enthalten.
Rz. 70–72 einstweilen frei