1 Allgemeines
Rz. 1
§ 86 FGO ist durch das Justizkommunikationsgesetz (JKomG) v. 22.3.2005 (BGBl I 2005, 837) mit Wirkung ab 1.4.2005 geändert worden. Neben Anpassungen an den elektronischen Rechtsverkehr ist in § 86 Abs. 3 FGO das sog. "In-camera-Verfahren" bei Vorlageverweigerung aufgenommen worden. Des Weiteren wurde § 86 Abs. 2 FGO durch Art. 15 des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.7.2016 mit Wirkung v. 1.1.2017 in der Weise geändert, dass das sog. "In-camera-Verfahren" auch für Weisungen der obersten Finanzbehörden zur Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sowie für Risikomanagementsysteme in Betracht kommt.
Rz. 2
Die Vorschrift konkretisiert den Grundsatz der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG, § 13 FGO und ist ein Mittel zur Erforschung des Sachverhalts. Rechtsfehlerhaft ist es, den Rechtsstreit gem. § 6 FGO auf den Einzelrichter zu übertragen, obwohl eine Klagebegründung erst nach Eingang von Akten, deren Vorlage nach § 86 Abs. 1 FGO beantragt wurde, erfolgen soll.
2 Pflicht zur Amtshilfe
Rz. 3
Neben der Anhörung und Befragung der Beteiligten stellt die Anforderung von Akten, Urkunden und Auskünften von Behörden das wichtigste Instrument des Gerichts zur Sachverhaltserforschung von Amts wegen dar. Die Vorlagepflicht der Behörden dient auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. § 86 FGO konkretisiert die allgemeine Verpflichtung zur Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG und § 13 FGO. § 86 FGO stellt bei verfassungskonformer Auslegung eine Ermächtigung für Grundrechtseingriffe dar. Nach § 1 Abs. 4 S. 1 BDSG wird die Amtshilfe durch das Bundesdatenschutzgesetz nicht eingeschränkt.
Die Verpflichtung der Behörden zur Aktenvorlage und Auskunftserteilung dient der Amtsermittlung durch das Gericht. Die Stpfl. können nicht über § 86 FGO einen Anspruch auf Akteneinsicht oder Auskunft gegen die Behörden durchsetzen.
2.1 Adressat
Rz. 4
Nach § 86 FGO verpflichtet sind alle deutschen Behörden, auch die nicht am Verfahren beteiligten, denn die Verpflichtung aus § 86 Abs. 1 FGO ist weiter als die Aktenvorlagepflicht nach § 71 Abs. 2 FGO. Betroffen sind auch die Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften, gleichgültig, ob sie am Rechtsstreit beteiligt sind oder nicht.
Rz. 5
Die Verpflichtung anderer, nichtbehördlicher Beteiligter zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung von Auskünften ist in der FGO nicht geregelt. Die Pflicht von Zeugen, Urkunden vorzulegen, ist in § 85 FGO normiert. Wegen der Urkundenvorlage durch nichtbeteiligte Dritte sind §§ 429ff. ZPO entsprechend anzuwenden.
2.2 Inhalt
Rz. 6
Es besteht eine Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden und Akten und zur Auskunftserteilung (schriftlich und mündlich). Dabei sind Akten auch Urkunden i. S. d. Vorschrift und damit Beweismittel i. S. v. § 81 Abs. 1 S. 2 FGO. Da diese Verpflichtung der Behörden der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen durch das Gericht dient, geht sie nur soweit, als ihre Erfüllung unmittelbar oder mittelbar zur Sachverhaltsermittlung erforderlich ist. Der Umfang der Verpflichtung wird im Einzelfall durch das Gericht konkretisiert, bzw ist vom Gericht ggf. darzulegen. Nach § 71 Abs. 2 FGO hat die beteiligte Finanzbehörde von sich aus die Akten zu übersenden, die ihrer Auffassung nach den Streitfall betreffen. Auch nach Klageerhebung beim FA eingereichte Unterlagen sind dem Gericht vorzulegen. Fordert das Gericht weitere Akten oder Urkunden an oder wünscht es ergänzende Auskünfte, so sind die Behörden grundsätzlich daran gebunden. Das Gericht bestimmt, was vorzulegen ist. Weigern kann eine Behörde sich nur bei Vorliegen der in § 86 Abs. 1 Halbs. 2 FGO und § 86 Abs. 2 FGO genannten Gründe , nicht aber, weil sie meint, ihre Inanspruchnahme diene nicht der Sachverhaltsermittlung.
Rz. 7
Akten und Urkunden sind vollständig vorzulegen, es sei denn, ein nur teilweises Vorlegen wird durch die Weigerungsgründe gerechtfertigt. Soweit Entwürfe, Gutachten, andere vorbereitende Arbeiten und interne Vermerke Bestandteil der Akten geworden sind, sind diese mit vorzulegen. § 78 Abs. 2 FGO gilt nicht für Behördenakten. Ein besonderes Bedürfnis, die Unbefangenheit der behördeninternen Willensbildung zu schützen, besteht – anders als im Fall von § 78 Abs. 2 FGO – nicht, da die behördliche Willensbildung bereits abgeschlossen und bekannt gemacht ist, während der Entscheidungsbildungsprozess des Gerichts noch andauert. Insbesondere aber ist z. B. die Überprüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung durch das Gericht auf die Frage, ob etwa sachwidrige Erwägungen eine Rolle gespielt haben oder ob eine sachgemäße Abwägung der einz...