Rz. 18
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung kann das Gericht, nicht der Vorsitzende, die mündliche Verhandlung von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten wiedereröffnen.
Rz. 19
Die Entscheidung über die Wiedereröffnung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Das Ermessen ist allerdings auf Null reduziert, d. h. es ist wiederzueröffnen, wenn ohne Wiedereröffnung eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich wäre, wenn nur so ein wesentlicher Verfahrensmangel beseitigt werden kann, etwa wesentliche Prozessgrundsätze (z. B. Amtsermittlungsgrundsatz, rechtliches Gehör) verletzt würden, was sich erst in der Beratung oder aufgrund eines nach der mündlichen Verhandlung, aber vor Verkündung des Urteils eingegangenen Schriftsatzes herausstellt. Eine Wiedereröffnung kann geboten sein, wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung mit Hinweisen oder Fragen des Gerichts überrascht wurde, zu denen er nicht sofort Stellung nehmen konnte, und ihm das Gericht keine Möglichkeit mehr zur Stellungnahme gegeben hat. Des Weiteren ist wiederzueröffnen, wenn vor der Beratung und Entscheidung ein Richter ausfällt oder wenn auf einen nachgelassenen Schriftsatz die Gegenseite erwidern muss.
Rz. 20
Keine Wiedereröffnung ist geboten, wenn ein Prozessbeteiligter es schuldhaft unterlassen hat, seine prozessualen Rechte geltend zu machen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Beteiligte seine Mitwirkungspflichten verletzt hat und das Gericht nicht zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet war. Gleichfalls ist nicht wiederzueröffnen, falls ein Beteiligter nach Schluss der Verhandlung Beweismittel benennt oder Tatsachen vorträgt, die er auch vor oder während der Verhandlung schon hätte benennen oder vortragen können. Nach Verkündung oder Zustellung eines Urteils ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sinnlos und hat daher zu unterbleiben, da das Urteil dadurch nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Handelt es sich um ein aufgrund mündlicher Verhandlung beschlossenes und gem. § 104 Abs. 2 FGO zuzustellendes Urteil, kann maßgebender Zeitpunkt auch die formlose Bekanntgabe der von den Richtern unterschriebenen Urteilsformel durch die Geschäftsstelle an einen der Beteiligten sein.
Rz. 21
Die Wiedereröffnung erfolgt durch Beschluss. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass das Gericht eine ausdrücklich als Wiedereröffnungsbeschluss gekennzeichnete Entscheidung trifft. Vielmehr genügt es, dass das FG erkennbar die Absicht hat, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen. Im Fall der Ablehnung verlangt der BFH eine Begründung, damit im Revisionsverfahren die Ermessensentscheidung überprüft werden kann. Es genügt, wenn die Begründung im Urteil selbst erfolgt, ohne dass ein formeller Beschluss ergeht. Die Entscheidung des FG, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, bleibt dabei auch dann eine selbständige gerichtliche Entscheidung (Beschluss), wenn sie gleichzeitig mit der Entscheidung zur Hauptsache ergeht und äußerlich als Teil des Urteils erscheint.
Rz. 22
Wie das Finanzgericht bei der Beschlussfassung über die Wiedereröffnung besetzt sein muss, ist streitig. Der BFH meint, zu entscheiden sei gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO ohne ehrenamtliche Richter, weil der Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung ergehe. Indes ist hier nach Auffassung von Wendl und Brandis, denen zuzustimmen ist, danach zu differenzieren, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet. Ist das Urteil noch nicht im Sinne des § 103 FGO "gefällt", haben die ehrenamtlichen Richter mitzuwirken, da der Beschluss über die Wiedereröffnung aufgrund der mündlichen Verhandlung und dementsprechend nicht außerhalb der mündlichen Verhandlung ergeht. Ist ein Urteil bereits im Sinne des § 103 FGO "gefällt", aber handelt es sich noch um ein gerichtliches "Internum", weil es noch nicht verkündet, zugestellt oder formlos an einen Beteiligten bekannt gegeben wurde, haben die ehrenamtlichen Richter ebenfalls an dem Beschluss mitzuwirken. Ohne die ehrenamtlichen Richter entscheiden die Berufsrichter über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, wenn eine Wiedereröffnung wegen vorheriger Verkündung oder Zustellung des Urteils bereits aus Rechtsgründen unmöglich ist, ohne dass weitergehende Ermessenserwägungen anzustellen sind. Bei Verhinderung eines an der Schlussberatung und Urteilsfällung beteiligten Richters ergeht die Entscheidung über die erneute Beratung ohne Hinzuziehung eines Vertreters in der verbleibenden Besetzung der Richterbank.
Rz. 23
Der Beschluss über die Wiedereröffnung bzw. Ablehnung der Wiedereröffnung ist nicht selbständig anfechtbar. Wird die Wiedereröffnung beschlossen, so stellt dies keinen Verfahrensmangel dar und ist auch die Frage der Besetzung des Gerichts revisionsrechtlich nicht überprüfbar. Falls die Wiederöffnung hingegen nicht hinreichend deutlich gemacht und einem Beteiligten dadurch die Möglichkeit genommen wird, an der ...